Kategorie:Intrigen | Krimi | MitratenBesonderheit:Der Krimi und das amerikanische Universitätsumfeld greifen flüssig ineinander - diese Fusion ist sehr gut gelungen.Persönliche Notiz:1) Bei dem Buch handelt es sich um den Teil einer Reihe. Das war mir nicht bewusst, hat aber auch nicht groß gestört. Eventuell ist dies für das Leser der Rezension eine wichtige Hintergrundinformation. 2) Aufgrund mehrerer Enttäuschungen lese ich inzwischen ungern Krimis. Dieses Buch hat mich jedoch gut unterhalten, ohne sich in brutalen Beschreibungen oder pseudopsychologischen Traumabeschreibungen zu verlieren, was ich lobend hervorheben muss.Worum dreht sich die Handlung?: Der vielversprechende Mathematikstudent Eli wird tot im Wald aufgefunden. Alles sieht nach Selbstmord aus, alle Brücken sind abgebrochen, trotzdem sind die Umstände fragwürdig. Zumal er in letzter Zeit eher euphorisch als niedergeschlagen wirkte. Hat ihn ein sich anbahnender wissenschaftlicher Durchbruch das Leben gekostet? Seine heimliche Zusammenarbeit mit mehreren Professoren war zumindest nicht gern gesehen. Auch seine Kommilitonen scheinen etwas zu verbergen zu haben. Und seine mennonitische Familie scheint auch nicht immer mit seinem säkularen Lebenswandel einverstanden gewesen zu sein. Die Ermittler tauchen immer tiefer ein in ein Umfeld aus Druck, Erwartungen und knallharter wissenschaftlicher Konkurrenz. Und dann ereignet sich ein zweiter Todesfall, nach exakt dem gleichen Schema...Große Themen im Hintergrund:Konkurrenzdruck und Erwartungen, Menschlichkeit gegen GenialitätTeilbewertung(Legende *= hat mich nicht überzeugt, **= ausbaufähig, ***=solide/gut zu lesen, ****= sehr gut/klare Empfehlung, *****= exzellent/schwer zu erreichen):Handlung ***Die Handlung ist klar, schnörkellos aber dabei nicht fantasiebefreit. Obwohl sich der amerikanische Universitätsbetrieb deutlich von dem europäischen unterscheidet, hat man keine Einfindungsschwierigkeiten, selbst wenn man Erfahrungen in diesem Millieu hat. Es werden mehrere Spuren ausgelegt, man kann gut mitdenken. Im Verlauf der Handlung wird immer wieder auf mathematische Konzepte eingegangen. Da dies nicht unmittelbar zur Handlung beiträgt, kann dies je nach Neigung der Leserschaft interessant oder überflüssig wirken. Die wissenschaftliche und die persönliche Ebene erhalten beide gleich viel Raum bei der Betrachtung des Falls.Aufbau ***Das Erzähltempo ist einem ruhigeren Krimi angepasst. Wie für das Genre typisch werden einige Fässer aufgemacht, um dann fallen gelassen zu werden. Diese Stränge sind gut verwoben. Ein paar kleinere Lücken gibt es, aber die fallen nicht sehr ins Gewicht.Charakterzeichnung **°Die Charaktere an sich sind authentisch und heben sich gut voneinander ab. Auch wenn einige davon für meinen Geschmack etwas überperfekt gezeichnet waren, so zum Beispiel die Frau des Ermittlers (Intelligent, Mitfühlend, Liebevoll, macht keine Fehler, jeder mag sie. Darüber hinaus ist sie sehr gläubig - was mich zugegebenermaßen etwas gestört hat, weil oft darauf herumgeritten wurde und es wenig zur Handlung beiträgt. Trotzdem gibt auch dieser Charakter insgesamt ein rundes Bild ab. Auch wenn sämtliche strenggläubige Frauen im Buch (ja, es gibt derer mehrere in verschiedenen Religionen) irgendwie gleichzeitig selbstbewusst und irgendwie unterordnend wirken - aber vielleicht ist das nur meine persönliche Empfindung oder es soll reale Konflikte widerspiegeln.Trotzdem sind die Charaktere insgesamt mit Feingefühl gezeichnet, haben Ecken und Kanten und teils kann man sich sehr gut vorstellen, wie es sie an die Uni verschlagen hat bzw. warum sie sich dort so gerne aufhalten. Auch der überzeugende Umgang mit Neurodiversität in der Charakterlandschaft gefiel mir gut.Abzüge muss ich leider für den Umgang der Charaktere miteinander aussprechen. Gerade der leitende Ermittler und seine Frau führen oft Dialoge, die mir hölzern vorkamen. Ich hatte den Eindruck, dass man auch nach vielen Jahren Ehe eher nicht so miteinander spricht. Aber auch andere Dialoge waren manchmal platt, trivial bis beschreibend und irgendwie ungeschickt. Dies trifft allerdings nicht auf die Vernehmungen zu, hier wurde der Spannungsbogen gut gezeichnet.Sprache und Stil **°Die Sprache war an sich solide und hat die Spannung gut unterstützt. Für mich persönlich störend waren Wiederholungen in Bezug auf Alltagsdialoge, ständiges Aufgreifen von in meinen Augen eher unrealistischen Spitznamen ("Harvard" und "alter Mann") und manche Dialoge (siehe oben). Zudem wurden oft ausführlich Nebensächlichkeiten wie die Bekleidung von Hauptcharakteren beschrieben. Zugutehalten muss man jedoch, dass der Krimi keine für den Stoff unangebrachten Stilexperimente versucht und sich im Gegensatz zu einigen seiner Kollegen auch mit Gewalt- und sonstigen Ekelschilderungen stark zurückgehalten hat.Zielgruppe(n)Leser, die einen Krimi (und keinen leider oft so bezeichneten Psychothriller) in einem ungewöhnlichen Umfeld lesen wollen. Zwischenmenschliche Interaktion sollte nicht der Hauptfokus sein, Freude an interessanten Charakteren wird jedoch bedient. Der Krimi ist solide spannend, etwas Durchhaltevermögen und Toleranz oder Interesse bezüglich mathematischer Schilderungen sollte da sein. Vorwarnung bezüglich der ständigen Anwesenheit von Glauben wurde gegeben! Kenntnis der Vorbände nicht notwendig.Fazit ***Habe den Krimi ganz gern gelesen, werde dies aber vermutlich kein zweites Mal tun. Die Handlung ist spannend, erstreckt sich in ungewöhnlichem Umfeld über mehrere Themenbereiche und Spuren und wird gut durch die Sprache unterstützt, die keine Experimente wagt und keiner effektheischerischen Schilderungen bedarf. Die Charaktere sind liebevoll und glaubwürdig gezeichnet, allerdings hapert manchmal deren Interaktion miteinander. Beschreibungen alltäglicher Dialoge und Klamotten ufern teils etwas aus. Extreme Religiosität als Charaktereigenschaft mehrerer Menschen ist stark und recht kritiklos vertreten, damit muss man umgehen. Selbiges gilt für detaillierte mathematische Schilderungen.