"Bergland" von Jarka Kubsova habe ich sehr gerne gelesen und so freute ich mich, das in meinem Lesekreis nun der neue Roman von ihr auf dem Programm stand. Meine Freude wurde allerdings etwas gedämpft, als ich realisierte, dass eine Hexenschicksal aus dem Mittelalter Teil der Handlung ist. Das Schickal vieler Frauen, die im Mittelalter grausam umgebracht wurden, ist mir schwer erträglich.Dennoch habe ich mich dem Stoff gestellt und es auch nicht bereut. Zunächst ein paar Worte zum Inhalt, den der Verlag so beschreibt:"Im Hamburger Marschland lebt ums Jahr 1580 Abelke Bleken. Sie führt allein einen Hof, trotzt Jahreszeiten und Gezeiten. Und sie versucht, sich gegen ihre Nachbarn zu behaupten, in einer Zeit, die für unabhängige Frauen lebensgefährlich ist.Fast fünfhundert Jahre später zieht Britta Stoever mit ihrem Mann und ihren Kindern in die Marschlandschaft. Ihre Arbeit als Geografin hat sie für die Familie aufgegeben, das neue Zuhause ist ihr noch fremd. Sie unternimmt lange Spaziergänge durch die karge Landschaft, beobachtet die Natur und lernt, in Bracks und Deichlinien die Spuren der Vergangenheit zu lesen. Dabei stößt Britta auf das Leben der Abelke, auf Ausgrenzungen und Ungerechtigkeiten, die beängstigend aktuell sind. Fasziniert taucht sie tiefer und tiefer ein - und merkt, wie viel sie im Leben der anderen Frau über sich selbst erfährt." (© Fischer Verlag)Trotz meiner Bedenken habe ich den Roman gerne gelesen. Jarka Kubsova hat das Schicksal von Abelke Bleken sorgfältig recherchiert und in ihrem sehr lesenswerten Nachwort ihre eigene Interpretation der Hintergründe zu dem Hexenprozess erläutert. Eine Interpretation, die sich aufdrängt: Abelke lebte in einer Zeit, in der die Feudalklasse in einer tiefen Krise steckte und dringend Land benötigte. Bauern wurden in dieser Zeit enteignet und von den gepachteten Griundstücken vertrieben. In den Marschlanden waren die Bauern in der Regel jedoch die Besitzer ihrer Grundstücke und es war schwierig, solche Ländereien zu erwerben. Da kam eine Flut, wie sie im Roman beschrieben wird gerade recht, denn Abelke gelang es nicht, die vorgeschriebenen Deicharbeiten durchzuführen und als starke, unabhängige Frau, die keinen Wert darauf legte, den Männern zu gefallen, bekam sie nicht die Unterstützung, die anderen Landbesitzern in der Regel gewährt wurde. So verlor sie ihren Hof und ihre Versuche, sich zu rächen, führten zur Anklage wegen Hexerei.Das Schicksal von Abelke kommt den Lesenden auch durch die Forschungen von Britta Stoever näher, die für eine Chronik eines regionalen Vereins über deren Schicksal schreiben will. Langsam bemerkt sie, wie sie ihr Leben beginnt zu hinterfragen, die Tatsache, dass sie ihre beruflichen Ambitionen zu Gunsten der Familie immer mehr zurückstellen musste, der Umzug, in ein Haus, in dem sie sich nicht wohlfühlt und die Beziehung zu ihrem Mann, von dem sie sich immer stärker entfremdet.Das alles verflicht Jarka Kubsova zu einem wirklich spannenden Roman, der in beiden Erzählebenen berührt und nachdenklich macht. Und so war ich doch schlussendlich sehr versöhnt mit diesem Roman, der mir nicht nur neue Aspekte über die Hexenverfolgung nahe brachte, sondern auch verdeutlichte, wie der Übergang vom Feudalismus zum frühen Kapitalsimus der Neuzeit dazu führte, dass Frauen aus einer anerkannten, ja gleichberechtigten Position immer stärker degradiert wurden - eine Degradierung, die bis in unsere Zeit anhält. Große Leseempfehlung!