Besprechung vom 25.05.2025
Besondere Vorkommnisse
Sowjetische Post
Die Sowjetunion unter Stalin vor dem Zweiten Weltkrieg war ein paradoxes System: eine Diktatur des Proletariats, also die autoritäre Herrschaft einer Klasse, mit einer Staatspartei und einem de facto unumstrittenen Staatsführer, der in den Jahren des Terrors willkürlich Menschen festsetzen, foltern, in Arbeitslager schicken und töten ließ. Bei all dem wurde Wert darauf gelegt, dass die Sowjetunion ein Rechtsstaat war. Das widersprüchliche Bewusstsein, das damit zwingend einherging, findet eine herausragende Darstellung in dem Roman "Zwei Staatsanwälte" von Georgi Demidow (herausgegeben von Thomas Martin und Irina Rastorgueva, Galiani, 23 Euro). Der Berliner Verlag setzt damit, zwei Jahre nach der Übersetzung von "Fone Kwas oder Der Idiot", seine Bemühungen um eine Neuentdeckung des 1987 gestorbenen Autors fort. Es ist das Jahr 1937: Kornew, ein junger Jurist, frisch vom Studium, wird Staatsanwalt für die Gefängnisse. Durch eine Laune des Schicksals erreicht ihn ein Brief aus den Tiefen der geheimen Verliese, von einem anderen, älteren Staatsanwalt, den der Geheimdienst NKWD in seiner Gewalt hat. Der Brief ist mit Blut geschrieben. "Zwei Staatsanwälte" ist einer der großen Romane über die Sowjetunion - und wurde aktuell von Sergej Loznitsa verfilmt. In Cannes hat die Adaption diese Woche Premiere gefeiert. breb.
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