Besprechung vom 21.07.2025
Mission Mäßigung
Herzerwärmendes aus der Postwachstumsökonomie
Der Ökonom Niko Paech hat ein "Update" seines Buches "Befreiung vom Überfluss" vorgelegt. Der Untertitel ist Programm: "Eine Postwachstumsökonomie für das 21. Jahrhundert". Der Autor liefert nicht nur Analysen der herrschenden Nichtnachhaltigkeit, sondern formuliert auch Umrisse einer Politik des Postwachstums. Zentral für den Argumentationsgang sind eine scharfe Kritik des Effizienzparadigmas und die Skizze einer Wirtschaftsweise, die nicht an Expansion und Fortschritt, sondern an Reduktion und Genügsamkeit orientiert ist.
Paech ist in dieser Zeitung einmal als "Deutschlands Postwachstumspapst" bezeichnet worden und das nicht ganz zu Unrecht: Er ist im deutschsprachigen Raum sicher der bekannteste und wortgewaltigste Postwachstumsökonom. Das ursprüngliche Fassung von "Befreiung vom Überfluss" war ein Bestseller, der die Debatten über Wachstum, Effizienz und Nachhaltigkeit wesentlich mitgeprägt hat. Dass die Änderungen dieses "Updates" sich in Grenzen halten, lässt sich gut begründen: Vieles, das Paech im Original ausgeführt hat, gilt auch heute noch. Der Text darf daher eine hohe Aktualität für sich in Anspruch nehmen.
Das Buch enthält neben einem neuen Vorwort und der Einleitung, in der die "Wohlstandsdämmerung" als "Aussicht auf mehr Lebensqualität" präsentiert wird, sechs Kapitel. Das erste heißt "Über seine Verhältnisse leben - ein vermeintliches Menschenrecht"; in den folgenden Kapiteln werden erst der Fortschritt und dann die Freiheit als Illusionen dekonstruiert, Entkopplung als Mythos dargestellt, Wachstumszwänge und Wachstumstreiber identifiziert und die Umrisse einer Postwachstumswelt skizziert. Ein Fazit schließt das Buch ab - bemerkenswerterweise trägt es denselben Titel wie im Original: "Wir haben (noch) die Wahl!" Ob das wirklich der Fall ist, könnte man nach der Lektüre bezweifeln, so drastisch wird die Lage der Dinge beschrieben.
Man wird selten ein Buch finden, in dem man eine solche Fülle von klugen Gedanken und Ideen findet - und gleichzeitig eine solche Menge an befremdlichen Einfällen und Überlegungen. Paech schreibt äußerst lesbar, klar und zugespitzt - und das ist Stärke und Schwäche des Buches zugleich. Lesenswert ist zum Beispiel das Kapitel über den "Mythos Entkopplung": Klarer kann man die Problematik kaum auf den Punkt bringen. Sehr bedenkenswert ist auch der Hinweis auf die Relevanz von gesellschaftlicher Normalität als Bremse für nachhaltigen Wandel. Dass nicht nur ökologische, sondern auch gesellschaftliche Grenzen des Wachstums beschrieben werden, spricht ebenfalls für diesen Text. Dabei die Frage nach dem rechten Maß ins Zentrum zu stellen, ist zweifellos eine gute Idee.
Eine schlechte Idee ist es allerdings, die Forderung nach Maßhalten in einer völlig maßlosen Weise zu formulieren. Selbst wenn man Paechs Ideen grundsätzlich offen gegenübersteht, endet irgendwann die Geduld mit seiner rhetorischen Überwältigungsstrategie. Das Buch strotzt vor Kraftausdrücken, ständig liest man Dinge wie Abgrund, Exzess, Verwüstung, Ausbeutung und Plünderung. Niko Paech haut dem Leser seine Weltsicht mit einer Drastik um die Ohren, die irgendwann ins Leere läuft. Was dem Buch völlig abgeht: Neugierde, Offenheit und auch nur ein Hauch von Humor. Der Autor ist seiner Sache dermaßen sicher, dass er sich offenbar kaum vorstellen kann, dass die Dinge anders liegen könnten als von ihm beschrieben.
Was man Paech nicht vorwerfen kann: dass er den eher sozialistisch gefärbten Tendenzen des Postwachstumsdiskurses nachgibt, die in den letzten Jahren deutlich an Relevanz gewonnen haben. Der Kapitalismus ist Paechs Problem nicht - eher schon egoistische, hedonistische und verblendete individuelle Konsumenten und die Politik, die ob ihrer Abhängigkeit von deren Wahlverhalten nicht imstande ist, echten Wandel herbeizuführen. Paech setzt voll auf eine "transformationsaffine Minderheit" und real existierende "Gegenkulturen" - also auf Eliten. Nur diese, so muss man Paech verstehen, können den Weg aus der Nichtnachhaltigkeit weisen - und natürlich Fahrräder, ökologischer Landbau, mechanische Rasenmäher und Segelschiffe.
Dass diese Phantasiewelt aus der Postwachstumsblase von den Zuständen des frühen 21. Jahrhunderts Lichtjahre entfernt ist, scheint den Autor nicht zu stören. Dabei drängt sich beim Lesen die Frage auf, wie man dem Globalen Süden erklären könnte, warum auch er sich vom Wachstumsziel verabschieden muss. Für Paech ist klar, dass wir alle aus dem "Hamsterrad der käuflichen Selbstverwirklichung" ausbrechen müssen, um gut und nachhaltig leben zu können. Dass man sich vom Überfluss nicht befreien, sondern ihn genießen könnte - dieser Gedanke wird im Buch nicht einmal gestreift.
Dass die Individualisierung des Problems angesichts weltweiter sozialer, ökonomischer und politischer Dynamiken grundsätzlich verfehlt sein könnte, wird ebenfalls nicht reflektiert. Ernst Ulrich von Weizsäcker schreibt im Nachwort, die Begegnung mit Paech habe ihm "das Herz erwärmt". Genau darin wird für viele Leser wohl die Funktion dieses Buches liegen. Wer etwas darüber lesen will, wie sich unsere Welt in Richtung Nachhaltigkeit verändern lässt, wird hier leider nicht fündig. FRED LUKS
Niko Paech: "Befreiung vom Überfluss - das Update". Eine Postwachstumsökonomie für das 21. Jahrhundert. oekom, München 2025, 144 Seiten
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