Der fünfjährige Gavra Mandil lebt mit seinen Eltern und seiner kleinen Schwester Irena in Jugoslawien. Der Vater ist Fotograf und die Geschwister freuen sich immer sehr, wenn sie ihn in seinem Geschäft besuchen dürfen und fotografiert werden. Doch mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs gerät Gavras heile Welt aus den Fugen. Das Land wird von den Nazis besetzt und alle jüdischen Menschen müssen nun einen gelben Stern tragen. Auch Gavra und seine Familie. Als ihnen die Deportation droht, beschließen sie zu fliehen. Der Weg ist gefährlich, doch dank eines ganz besonderen Fotos von Gavra und Irena unterm Weihnachtsbaum kann die Familie entkommen. Lange irren sie umher und finden schließlich Schutz bei einer albanischen Familie, die sie vor den Nazis versteckt und allen das Leben rettet.
Eine berührende Geschichte, die ein wenig bekanntes Kapitel der Judenverfolgung für Kinder im Grundschulalter erzählt: die Rettung jüdischer Menschen im mehrheitlich muslimischen Albanien.
Besprechung vom 28.04.2025
Welche Bilder fehlen
Maya C. Klinger erzählt, wie Gavra gerettet wurde
Eines Morgens will die Lehrerin der ersten Klasse, dass die Kinder sich aufteilen: die Gruppe der muslimischen Kinder hier, die christlichen dort. Nur ein kleiner Junge bleibt sitzen. Wohin soll er gehen? Er weiß es nicht, nicht mehr. Bevor er, erst fünf Jahre alt, auf dem Bahnsteig in Belgrad seine Eltern wiedersah, hatte ein fremder Mann ihm eingeschärft, er sei aus einer christlichen Familie. Und kaum war er, nach der Flucht mit Eltern und Schwester, weit von allem, was er kannte, das erste Mal wieder einigermaßen angekommen, hieß er Ibrahim und sollte sagen, er sei ein albanischer Muslim. Die Gebete des Islams hat Gavra Mandil noch Jahrzehnte später geschätzt und auswendig gekonnt, als er längst wieder sein durfte, was er ursprünglich war: ein Jude.
Maya Klinger, die mittlerweile zwei weitere Kinderbücher geschrieben hat, erzählt eine Geschichte, die gut ausgeht. Und sie erzählt "Wie ein Foto unser Leben rettete" konsequent aus der Ich-Perspektive des jungen Gavra Mandil, geboren 1936 in Novi Sad, als Jugoslawien in seiner frühesten Form existierte. Es ist also, vermittelt, eine wahre Geschichte, für Kinder im Grundschulalter, so wie Gavra eins ist, als er, ein, zwei, drei Mal die Identität wechselt. Und sich fragt: Wenn er nie einen Deutschen gesehen hat und niemanden hasst, der deutsch ist - wie kann es dann sein, dass die Deutschen ihn hassen?
Diese Frage des Kindes und im Grunde aller Kinder über die Schoa kann Klinger innerhalb ihrer "wahren Geschichte der Familie Mandil" nicht beantworten. So fordert ihre Erzählung, ohne das ausdrücklich zu tun, auch dazu auf, noch mehr Fragen zu stellen. Das ist gut. Denn darüber, wie "Besa", die unhintergehbare Gastfreundschaft der Albaner, Hunderten Juden das Leben gerettet hat, ist noch wenig bekannt. Es sind zwei unerhörte Begebenheiten, von denen Klinger für junge und auch ältere Leser erzählt. Von der Selbstlosigkeit der Retter, nicht nur der albanischen Familie Veseli, sondern auch der Stationen zuvor, die der Familie Mandil überleben halfen. Und von der Fotografie, die nicht nur einmal, wie der Titel behauptet, das Leben der Familie rettet. Ein Foto, das Gavra und seine jüngere Schwester Irena mit einem festlich geschmückten Weihnachtsbaum zeigt, düpiert einen Nazi-Offizier, der die Familie um ein Haar nicht hätte ausreisen lassen. Es ist das fotografische Handwerk des Vaters, das die Familie durchbringt, Kontakte herstellt, letztlich auch zu dem jungen Mann Refik Veseli, der von Gavras Vater Fotografieren lernt und dessen Familie die Mandils in einem albanischen Dorf versteckt. Viele der Fotografien sind nun in "Wie ein Foto unser Leben rettete" abgedruckt, was gerade für junge Leser buchstäblich sichtbar macht, wessen Geschichte erzählt wird.
70 Jahre später ist Gavra Mandil in Tel Aviv gestorben. Ein angesehener Fotograf, Doyen der israelischen Magazin- und Werbefotografie, Ausbilder vieler Fotografen, mit dem Gavra Studio als bis heute angesehener Adresse. Seine Kinder tun, was er getan hat: die familiäre Berufstradition der Fotografen fortsetzen. 1987 hat Mandil die Gedenkstätte Yad Vashem kontaktiert, seine Zeugenaussage samt den Fotografien hinterlegt, die nun im Buch zu sehen sind. Die Veselis sind unter die "Gerechten unter den Völkern" aufgenommen worden.
Klinger erzählt schlicht, hebt die tödliche Gefahr nicht mehr als nötig hervor. Ihre Entscheidung für die Ich-Erzählung rührt womöglich aus dem Wunsch, nah an dem Zeugenbericht zu bleiben, den man online bei Yad Vashem nachlesen kann. Für junge Leser erzeugt er die nötige Nähe und auch die Neugier, Fragen zu stellen. Besondere ästhetische Kunstgriffe wendet Klinger nicht an, die viele Jahre in der Bildung gearbeitet hat. Dafür hat der Insel Verlag die deutsche Ausgabe nicht nur besonders schön gestaltet, sondern mit Isabel Kreitz auch eine Künstlerin gewonnen, der es gelingt, auch das Unsichtbare sichtbar zu machen. Ihre großen und kleinen Illustrationen der vielen überraschend glücklichen und oft brutalen Ereignisse, die über die Familie Mandil kommen, sind sofort als Zeichnungen zu erkennen, als Ausmalen dessen, was war. Sie sind zwischen den echten Fotografien die Bilder, die fehlen. EVA-MARIA MAGEL
Maya C. Klinger: "Wie ein Foto unser Leben rettete".
Aus dem Hebräischen von Gundula Schiffer. Bilder von Isabel Kreitz. Insel Verlag, Berlin 2025. 120 S., geb., 15,- Euro. Ab 7 J.
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