1000 Tränen Buch
Dieses Buch lässt mich ziemlich zerstört zurück. Schon auf den ersten Seiten musste ich weinen und nachdem ich es beendet, habe, fließen die Tränen immer noch. Das Schicksal das Hartmut Willeiski stellvertretend für viele Kinder erlitten hat, ist gleichzeitig Fiktion und trotzdem so wahr. Als kleiner Junge, kaum 3,4 Jahre alt, wird er auf einem Kindertransport aus Danzig von seiner Schwester getrennt. Kurz zuvor haben sie die Mutter im Schnee verbuddelt. Wie viele andere kennt er seinen Namen nicht, weiß nicht, wie seine Eltern heißen, landet in einem Kinderheim. Da er nicht mehr spricht, gilt er als aufmüpfig, bockig und schwachsinnig. Er muss viel Grausames erleiden, dass ihn sein Leben lang prägt. Seine einzige Stütze ist die viel ältere Margret, die ebenfalls im Heim wohnt und ihn beschützt. Doch irgendwann trennen sich ihre Wege. Für Hardy nimmt das keine gute Wendung.Parallel dazu erleben wir einen Erzählstrang der 2006 in Köln beginnt. Die kleine Emily büxt von zu Hause aus. In der Folge stellt das Jugendamt fest, dass ihre Mutter Julia, selbst noch ein halbes Kind, sich nichtwirklich um sie kümmern kann. Ihre Oma Sabine ist die noch unzuverlässigere Person. Und so nehmen Margret und Hardy ihre Urenkelin auf und ziehen sie groß.Beide Zeit Ebenen sind sehr berührend. Die Informationen, die sich in erster Linie mit der Verwahrlosung von Kindern in Heimen beschäftigen, sind hart und kaum auszuhalten. Unglaublich, was im Nachkriegsdeutschland für Menschen mit Kindern gearbeitet haben. Die drastischen Schilderungen haben mich so traurig gemacht, dass ich das Buch regelmäßig weglegen musste. Kinderschutz, so wie er heute Grenzen setzt, ist ein ungemein wichtiges Instrument, wenn die Menschen sind schlecht und hätte man nicht Strukturen geschaffen, die uns in die Verantwortung nehmen, wären Kinder auch heute noch mehr Gewalt und Missbrauch auf allen Ebenen ausgesetzt, als ohnehin schon. Das auch in der Gegenwartsebene, die Prekarität der Familie deutlich gemacht wird, fand ich sehr passend. Müttern wie Julia und Sabine bin ich schon oft begegnet. Sie kommen aus Familien, die nicht gesehen werden, in denen sich Traumata übertragen und bekommen Kinder von Männern, die das Weite suchen, weil sie sich der Verantwortung entziehen möchten. Ein Teufelskreis, der schwer zu durchbrechen ist. Hardy und Margret haben in ihren Möglichkeiten Emily den Weg geebnet, diesem Schema zu entkommen. Und das Kinderschutz da in Form eines aufmerksamen Jugendamtes greift, kommt Emily ebenfalls zugute. Einfach wird aber auch ihr Leben nicht sein.Ich möchte nicht so viel erzählen, denn es sind einige Dinge, die hier ein Leben lang vertuscht, und somit in der Folge nicht aufgearbeitet werden können. Es ist eigentlich logisch, dass das im Alter dann doch noch mal heraus bricht, wenn das Nervenkostüm und auch die physische Konstitution, sowie das Weltverständnis kaum noch in Einklang zu bringen sind. Das oft missbräuchlich verwandte Wort "Trigger" bekommt hier noch mal eine Vehemenz, die es uns zukünftig verbieten sollte, es inflationär für jedes Unwohlsein einzusetzen.Im aufschlussreichen Nachwort erklärt die Autorin, wie sie auf das Thema gestoßen ist. Und einmal mehr muss ich feststellen, dass Susanne Abel wirklich ein großes Talent hat, dunkle Flecken unserer Nachkriegsgeschichte in packende und sehr berührende Geschichten einzuarbeiten. Der in ihren anderen Werken etwas überproportional präsente Lokalkolorit Kölns hält sich dieses Mal in Grenzen. Sie hat erfreulicherweise die richtige Dosierung für mich gefunden.Eine große Leseempfehlung, ein Jahreshighlight und ein Buch, dem ich nicht nur die volle Sterne-, sondern auch die volle Tränenzahl geben möchte.