Schöne Landschaften, angenehm eloquenter Stil. Handlung in der Normandie mit grotesk-albernen Zügen. 3,5*
Hardy Espen, 59, ist in Hamburg aufgewachsen, hat der Hanse aber nach seiner Scheidung vor elf Jahren den Rücken gekehrt. Er lebt jetzt glücklich und zufrieden in seinem Häuschen in der ländlichen Normandie nahe den historischen Landungsstränden der Alliierten, wo 1944 die Befreiung Frankreichs ihren Anfang nahm. Hardy führt ein ruhiges Leben als erfolgreicher Comic-Zeichner. Er ist mit Ainé liiert, die den wunderschönen Blumenladen "Le Kamasutra des fleurs" im nahen Landstädtchen führt. Deren beste Freundin, die früh verwitwete Héloise, bewirtschaftet einen Bauernhof in Hardys Nachbarschaft, der ihr zunehmend über die Kräfte geht. Sie sieht ihn aber als Erbe und Vermächtnis ihres Ehemanns Raymond an, so dass sie sich nicht davon lösen kann. Im Friseurgeschäft der Zwillingsschwestern Jeannette und Babette haben sich Hardy und Ainé kennen- und lieben gelernt. Der liebeshungrige, alternde Playboy Vincent komplettiert das normannische Figurenkarussell. Der Autor zeigt uns liebevoll den Alltag dieser einfachen Leute in der beschaulichen, sehr atmosphärisch dargestellten La Manche. Alle sind miteinander verbunden, sie teilen Sorgen und kleine Freuden miteinander, versuchen sich gegenseitig in Krisenzeiten zu unterstützen.Es geschehen zwei Dinge, die Hardys Leben aus dem Lot bringen: Die verstorbene Hamburger Seniorin Selma Nissen-Wedekamp, an die sich Hardy zunächst überhaupt nicht erinnern kann, vererbt ihm ihren geliebten alten Retriever Brahma, der von Hamburg nach Frankreich überführt werden muss und Hardy zum Hundebesitzer macht. Am Strand findet Hardy zudem die Erkennungsmarke eines deutschen Wehrmachtssoldaten und fasst den Entschluss, dessen Hinterbliebenen Mitteilung über diesen Fund zu machen. Diese gutgemeinte Tat erweist sich im Verlauf der Geschichte als fatal, denn mit dessen Enkelin Gisela tritt eine penetrante Stalkerin in Hardys Dasein.Henning Ahrens lässt die einzelnen Episoden locker leicht ineinanderfließen. Er schreibt stilistisch geschliffen, oft mit einem Augenzwinkern und viel Humor in den Dialogen. Haupt- wie Nebenfiguren werden lebensecht und menschlich in Szene gesetzt. Nicht alle sind frei von Klischees. Das gilt insbesondere für Vincent und Gisela, die mit ihrem übertrieben bizarren Gestus ordentlich Schwung in die Handlung bringen. Das muss man mögen.Der Roman fokussiert sich auf das Leben unabhängiger, lediger "Best-Ager" zwischen 50 und 60 Jahren: Der Körper fängt an zu knarzen, die Haut schlägt Falten, der beste Teil des Lebens scheint vorbei zu sein. Im Hintergrund muss man sich um alte, starrsinnige Eltern oder erwachsene Kinder kümmern, der Beruf kostet zunehmend Kraft. Man hat sich zwar in seiner Existenz gut eingerichtet - Aber ist nicht vielleicht doch noch Zeit für Veränderungen oder um getroffene Lebensentscheidungen zu überprüfen?Trotz allen Humors und komödiantischer Einlagen, die insbesondere mit dem Auftauchen Giselas zu grotesken Szenen führen, enthält der Roman auch zahlreiche nachdenkliche Momente, weil er ganz gewöhnlichen Emotionen Raum gibt. So wird Héloises Trauer und Verzweiflung nachvollziehbar. Vincent fällt in eine Altersdepression, als er in Pension gehen muss, und Ainé braucht nach dem Tod ihres Vaters eine Auszeit zur Neuorientierung. Ernst und Witz wechseln sich ab und halten sich meist die Waage.Ich habe den Roman gerne gelesen, auch wenn mir zum Ende hin die Action rund um Gisela etwas auf die Nerven ging. Es gibt keinen besonderen Spannungsbogen, trotzdem folgt man den sympathischen Charakteren mit Interesse auf ihren gut ausgeleuchteten Wegen. Die Szenerie macht Lust, diesen anheimelnden Landstrich von historischer Bedeutung in der Normandie kennenzulernen.Ein Buch zum Entspannen, das Menschen in der Lebensmitte auf erfrischende Weise portraitiert.