Ehrlich, zart und traurig
"Ich wünsche mir, dass du keine Mutter bist, sondern eine Frau, die ihr Leben in Deutschland nach eigenen Wünschen gestaltet."Während der deutsche Schriftsteller und politische Aktivist Fikri An¿l Alt¿nta¿ in seinem Debütroman "Und morgen wächst ein Birnbaum" hauptsächlich die Beziehung seines autofiktionalen Erzählers zu seinem Vater analysiert, stellt er in seinem zweiten, ebenfalls autofiktionalen Roman ganz die Mutter des Erzählers in den Fokus.Nach dem emotionalen "Autobiografie meines Körpers" von Lize Spit ist "Zwischen und liegt August" gleich der zweite Roman innerhalb kurzer Zeit, den ich lese, in dem das Sterben einer krebskranken Mutter begleitet wird.Denn die Mutter von Alt¿nta¿' Erzähler hat Krebs, und sie wird daran sterben. Die Rahmenhandlung des Romans beschreibt einen Tag in stündlicher Genauigkeit, an dem abends das Geburtstagsfest für die Mutter mit der Familie stattfinden soll. Alle wissen, dass es vermutlich ihr letztes Fest werden wird, dementsprechend belastet sind die Vorbereitungen auf das Essen.Der Erzähler, der schon lange von zu Hause ausgezogen ist, und für den die Liebe und Fürsorger seiner Mutter immer selbstverständlich war, versucht zu begreifen, wer er ohne sie sein wird."Ich kämpfe wieder mit den Tränen und du mit dem unerschütterlichen Grundsatz der Zuversicht, den du uns über all die Jahre vorgelebt hast. Deine Stärke durchdrang das Haus; in Dunkelheit warst du die, ohne die wir nicht schlafen konnten. Wir akzeptierten deine Schlaflosigkeit ohne Schuld."Zwischen die detaillierten Beschreibungen der Vorbereitungen für das Essen, setzt Alt¿nta¿ eine zweite Erzählebene aus dem Jahr 1973. Hier lerne ich Mürüvet und ihre Freundin Efsun kennen, zwei junge Frauen, die in Aydin in der Türkei Pläne für ihrer Zukunft schmieden. Mürüvet, die Frau, die später die Mutter des Erzählers werden wird, erfährt allerdings von ihrem Vater, dass er sie und ihre Mutter bald mit nach Deutschland nehmen will, wo er schon länger als Gastarbeiter arbeitet. Pläne, die Mürüvet auf jeden Fall verhindern will, denn sie sieht ihre Zukunft in der Türkei, die kurz vor politischen Umbrüchen steht.Die junge und tatkräftige Frau von 1973 steht im starken Kontrast zu der erschöpften und krebskranken Frau, die später das sterbende Herz einer angeschlagenen Familie in Deutschland sein wird.Aus Alt¿nta¿' Text geht deutlich hervor, wie sehr die Jahre der Aufopferung für die Familie, das Aufgeben ihrer eigenen Träume und Persönlichkeit, aber auch die andauernde Ablehnungen als Nicht-Deutsche sie aufgezehrt und verändert haben.Dabei sieht der Erzähler sich selbst mit in der Schuld, er verspürt Reue über versäumte und ungenutzte Gelegenheiten seine Liebe zu zeigen."Wenn ich mir eine Sache wünschen kann, dann ist es Aussprache. Dass jeder einmal aussprechen kann, wie sehr er dich liebt und wo er sich gewünscht hätte, Liebe nachzuholen."In "Zwischen uns liegt August" haben mir besonders die Passagen aus der Ich-Perspektive des Erzähler gefallen und wie er die Mechanismen und Strukturen in seiner Familie beschreibt. Auch in der Darstellung der Mutter-Sohn Beziehung finde ich viel Zärtlichkeit, die mich rührt. Die fiktiven Passagen, die die junge Mürüvet beschrieben, finde ich insofern interessant, als dass sie eine enge Freundinnenschaft beschreiben und einen Ausschnitt aus dem Stimmungsbild der damaligen Türkei zeigen. Die junge Mürüvet selbst bleibt für mich (vielleicht notwendigerweise) aber hinter dem Stereotyp einer lebhaften jungen Frau, die gern Westmusik hört, verborgen."Zwischen uns liegt August" reiht sich für mich in eine Reihe großartiger Bücher ein, die sich teilweise oder ganz mit den Thema Postmigration beschäftigen. Bücher wie "Geliebte Mutter - Can¿m Annem" von Çi¿dem Akyol, "A wie Ada" von Dilek Güngör, "Vatermal" von Necati Öziri oder auch "Kartonwand" von Fatih Çevikkollu und "Unser Deutschlandmärchen" von Dinçer Güçyeter, die ich alle uneingeschränkt weiterempfehlen kann.