Zugegeben, das ist eine Weile her, aber vor etwas mehr als 15 Jahren war asiatische Phantastik noch eher eine Randerscheinung. Ich erinnere mich noch, wie ich händeringend japanische Legenden durchstöberte auf der Suche nach einem Plot für eine Geschichte - und ging dann doch ins mir kuschelige Tibet zurück, erschien mir weiser damals.
Mittlerweile hat sich einiges geändert: Asiatische Fantasy ist Großverlags-tauglich, chinesische Autoren erobern den deutschen SciFi-Buchmarkt, über Mangas und Animes muss ich nicht wirklich sprechen hier, oder? Sind zwar beide nicht so ganz meine Welt, dennoch bin ich nicht blind und sehe durchaus, wie viel von beiden heute gelesen/angesehen wird.
Und jetzt haben sich 10 Autorinnen zusammen gefunden und eine Anthologie herausgebracht, in der es rein um japanische Yokai dreht. Für die, die mit diesem Begriff nichts anfangen können: Ein Yokai ist ein übernatürliches Wesen (meist in Gestalt eines Tieres oder Monsters), das mit außergewöhnlichen Kräften ausgestattet ist. Nicht jeder Yokai ist grundsätzlich böse, viele sind Trickster, die den Menschen schon mal gern ... Streiche spielen.
Aber kommen wir zum Inhalt:
Anne Danck berichtet über das Schneeschweigen und die Yuki-Onna, die Schneefrau, die ihr Geheimnis wahren möchte. Eine sehr einfühlsame und leise Geschichte, ganz so wie Schnee, der sanft zu Boden fällt. Für mich das erste Highlight dieser Anthologie.
Stella Delaney hält sich ganz an den alten Spruch Was du sähst ... mit ihrem Protagonisten Ryan, den es wider seinen Willen nach Japan verschlagen hat. Die Geschichte ist sehr spannend geschildert mit einigen Rückblenden, durch die man die fehlenden Teile des Puzzles errät, fast wie ein Krimi. Lege dich eben nie mit Katzenbesitzern an, die Fellnasen werden böse, wenn sie ihre tägliche Ration nicht bekommen ...
Claudi Feldhaus lässt den Leser auf Die Flussnixe treffen und verbindet dabei klassische Motive miteinander, die teils auch sehr westlich sind, aber auch in der japanischen Mythologie vorkommen. Für mich, die ich immer noch mit etwas kämpfe, was mir vor mittlerweile über 30 Jahren zustieß, war diese Geschichte ein kleines bisschen Balsam auf die Seele. Wenn es so etwas nur in der Realität gäbe ...
Anne Zandt nimmt den Leser mit Unten im Fluss. Dort wohnt Taki, und er ist ein stolzer Kerl! Eine märchenhaft geschilderte Geschichte um einen Kappa, der so ... sorry, aber pussierlich geschildert wird hier. Diese Geschichte erwärmte wirklich mein Herz.
Mika M. Krüger stellt uns Charlotte vor, die gerade sehr Festgefahren ist. Eine schöne kleine Geschichte um Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft - und Dankbarkeit, die von unerwarteter Seite kommt.
Kristina Schreiber ist sicher Kein Opfer. Ebenso wenig wie ihre Protagonistin. Eine faszinierende Geschichte, in der Menschen ... ja, eben Menschen sind und das Übernatürliche das eigentlich Weise. Mag meine Art Humor sein, aber bei den Gesprächen der Protagonistin mit dem Albtraumfresser musste ich einige Male wirklich lachen.
Jane Asayukis Ibayashi fühlt sich Befleckt. Eine Geschichte, die eine tiefe Einsicht in die japanische Kultur zeigt und die Macht der Selbstzerstörung, die uns allen inne wohnt. Für mich DAS Highlight dieser Anthologie!
Luga Faunus gründet den Schattenbund. Ehrlich gesagt saß ich nach der Lektüre erst sehr ratlos da und wusste nicht, was ich schreiben sollte. Um ehrlich zu sein, ich weiß es immer noch nicht. Aber eines weiß ich: Ich werde einen Blick in ihren Roman werfen, denn rein stilistisch ist die Geschichte gut.
Juliet May schreibt über Perferkt Unperfekt und die Folgen, die es in Japan haben kann, beobachtet man etwas, was man nicht sehen sollte. Hier zeigt sich das Übernatürliche als ein Trickster, der es dem Protag zwar ermöglicht, ein perfektes Leben zu führen, er aber einen hohen Preis dafür zahlen muss. Ein weiteres Highlight.
Saskia Dreßler macht dem geneigten Leser ein Heiratsangebot. Nein, ein Scherz von mir. Dem Protagonisten Naosuke wird ein solches unterbreitet, und er ist geneigt es anzunehmen. Allerdings muss er zuvor einen Preis bezahlen, der ihn wahrscheinlich bereuen lässt, überhaupt das Haus betreten zu haben. Klassische japanische Motive, wunderbar verwoben zu einer sehr, sehr guten klassischen japanischen Gruselgeschichte. Keine Frage: Highlight!
Eine interessante und wunderbare Sammlung an Geschichten, die mal mehr, mal weniger phantastisch scheinen, doch jeder von ihnen wohnt ein phantastisches Element inne. Eine Sammlung, die nicht nur Japan-Fans interessieren sollte, sondern auch den Leser düsterer Phantastik.