Mit 89 Jahren blickt Dacia Maraini zurück auf die Zeit ihrer Kindheit, die sie mit ihrer Familie in einem japanischen KZ verbringen musste. Dacia Maraini wuchs zusammen mit zwei jüngeren Schwestern in Japan auf. Ihr Vater Fosco war Anthropologe und unterrichtete an der Universität Kioto, und ihre Mutter Topazia stammte aus einer adeligen sizilianischen Familie, eine stolze Frau, ein kritischer Geist wie ihr Vater, liberal und zutiefst demokratisch eingestellt. Die Familie ist tief eingebunden in die japanische Kultur, Dacia selber empfindet sich als Japanerin.
Die Familie gerät durch den sog. Dreimächtepakt zwischen Japan und den faschistischen Ländern Italien und Deutschland in die Mühlen der internationalen Politik. Die japanischen Behörden fordern ein Bekenntnis zum Regime Mussolinis, das die Eltern verweigern, sodass sie als Vaterlandsverräter in einem KZ interniert werden.
Die Familie und 13 andere Internierte durchlaufen eine harte Zeit. Die japanischen Bewacher werden als grausam erlebt. Da Kinder nicht vorgesehen sind, muss jeder Erwachsene von seiner kargen Ration Einen halben Löffel Reis für die drei Kinder abgeben. Das Leben ist gekennzeichnet durch bitteren Hunger, Kälte, Schlafmangel, Mangelkrankheiten wie Beriberi und Skorbut, Durchfälle und die ständig präsente Bedrohung mit dem Tod. Die anfänglich noch vorhandene Solidarisierung untereinander verschwindet mit dem zunehmend unerträglicher werdenden Leben und macht einem verzweifelten Egoismus Platz.
Die Autorin unterbricht ihre Beobachtungen immer wieder mit Ausführungen zum System der Konzentrationslager, zur Musik, zur japanischen Kultur, zur Philosophie u. a. Ihre Ausführungen zu Nazi-Deutschland und zu den Leugnern sind für den deutschen Leser eher überflüssig, aber sie zeigen den weiten Blick der Autorin und ihr Engagement.
Mich hat die Art und Weise, wie Dacia Maraini diese harte Zeit beschreibt, sehr beeindruckt. Sie drängt ihren Leser nicht in die Rolle des Voyeurs, der die Misshandlungen miterleben muss. Sie klagt nicht an, fordert keine Entschuldigung und lamentiert nicht, sondern sie blickt einfach nur zurück und berichtet. Ihr Ton ist versöhnlich, und ihre große Liebe zu Japan, dem Land ihrer Kindheit, ist immer zu spüren. Daneben ist es die tiefe Liebe zu ihrer Familie und innerhalb ihrer Familie, die sie durch diese Zeit getragen hat. Und noch eines macht die Lektüre dieses Buches so lohnend: ihr Credo zu Europa als Staatengebilde.
4,5