Janet Frames erster Roman von 1957, der ihren literarischen Ruhm begründete und von den Heimsuchungen einer neuseeländischen Eisenbahnarbeiter-Familie erzählt, wird nach dem großen Erfolg ihres nachgelassenen Romans „ Dem neuen Sommer entgegen" in einer überarbeiteten Übersetzung neu vorgelegt. Die Familie des Eisenbahners Bob Withers in der Kleinstadt Waimaru wird von Unglück und Krankheit geplagt: Eine Tochter, Francie, stirbt durch einen tragischen Unfall, eine andere, Daphne, erkrankt psychisch so schwer, dass sie in eine Heilanstalt eingewiesen werden muss, ihr Bruder Toby hat epileptische Anfälle. Hinter dem Drama der Familie werden aber auch gesellschaftliche Konflikte sichtbar: Kann man im ganz anders gearteten Kosmos Neuseelands einfach die Werte und Bildungsstandards des weißen Europa vermitteln, ohne Rücksicht auf die angestammte Kultur?
Janet Frame wurde 1924 als drittes von fünf Kindern eines Eisenbahnarbeiters in Dunedin, Neuseeland, geboren, wo sie 2004 auch starb. Die Familienverhältnisse waren zum Teil tragisch, sie selbst wurde zu Unrecht als Schizophrene über Jahre hinweg in Nervenheilanstalten behandelt, u. a. mit Elektroschocks. Frame ist Autorin von zwölf Romanen und fünf Erzählungsbänden. Außerdem veröffentlichte sie Gedichte und ein Kinderbuch. Ihre Autobiografie «Ein Engel an meiner Tafel», die von Jane Campion verfilmt wurde, gehört zu den bedeutendsten Beispielen für dieses Genre im 20. Jahrhundert. Janet Frame zählte zu den Anwärterinnen für den Literaturnobelpreis.
Autobiografisch gefärbtes Romandebüt der neuseeländischen Autorin. Sehr poetisch, bildreich und ausdrucksstark.
Als die neuseeländische Autorin Janet Frame ihren ersten Roman (1955/56) schrieb, war sie gerade aus einer Nervenheilanstalt entlassen worden. Sie kam in der spartanischen Gartenhütten von Frank Sargeson, einem befreundeten Schriftsteller, zur Ruhe und ließ viele Aspekte ihres bisherigen Lebens in den Roman einfließen. Sie erzählt die Geschichte der Familie Withers und ihrer vier Kinder. Die älteste Tochter stirbt, der Sohn leidet an Epilepsie, die jüngere Schwester gründet im Norden eine Familie, Daphne, das mittlere Mädchen, kommt in eine Heilanstalt. Geschickt verwebt die Autorin Fakten, ohne dass sie einen autobiographischen Anspruch erhebt. Die Überschneidungen sind jedoch unverkennbar. Der erste Teil des Romans beschreibt die Kindheit, als alle Withers noch beisammen sind und das erklärte Ziel der Geschwister die nahegelegene Müllhalde ist, bis es dort zu einem folgenschweren Unfall kommt. Der zweite Teil spielt 20 Jahre später und wird in drei Abschnitten jeweils aus der Sicht eines der Kinder erzählt. So kann die Autorin jede Figur von Innen heraus beschreiben, das macht sie jedesmal auf ganz individuelle Weise. Insgesamt ist - wie auch schon in ihrer Autobiografie - der Sprachstil geprägt von poetischen und bildhaften Elementen. Eine sehr ausdrucksstarke und kraftvoller Sprache. Der Roman hat mir gut gefallen, liest sich aber nicht so nebenbei. Ich denke, wenn man die Autobiografie kennt, kann man vieles besser einordnen und nachvollziehen. Mir hat es sehr geholfen und das Leseerlebnis sicherlich bereichert.
LovelyBooks-BewertungVon Babschaam 10.08.2016
Die Geschichte der Familie Withers. Vater Bob, ein mental simpel strukturierter Eisenbahner, der seine Familie mit harter Hand regiert und drangsaliert, seine Frau Amy, die sich ihm bedingungslos beugt und versucht, die Familie irgendwie zusammen zu halten. Und ihre vier Kinder. Francie , die Älteste, die als Teenager durch einen Unfall tragisch ums Leben kommt, dann Toby, von klein auf mit Epilepsie geschlagen, die unauffällige Daphne, die später ihr Leben psychotisch in einer geschlossenen Anstalt verbringen wird, und zuletzt Teresa, die Jüngste, die als Erwachsene unaufhörlich und krankhaft um gesellschaftlichen Aufstieg und Anerkennung kämpfen wird. Sie alle leben in Waimaru, einer Kleinstadt in Neuseeland in trostlosen, bitterarmen Verhältnissen. Ihre Kindheitsgeschichte erzählt das Buch und macht dann einen Sprung zwanzig Jahre nach vorn in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts.Die Autorin hat ihr mitreißendes, sehr mutiges und gesellschaftskritisches Buch bereits vor über fünfzig Jahren geschrieben. Es ist ein Werk voller zeitloser Poesie und beleuchtet in einer ganz speziellen Mischung aus Melancholie, unterschwelliger Wut und tiefer Traurigkeit das Werden und Vergehen einer geschlagenen Familie ohne jede Chance, sei es aufgrund menschlicher Unzulänglichkeit, tragischer Schicksalsschläge oder einfach wegen genetischer Defekte und Vorbelastungen. Ein Werk, das gerade aufgrund des Kontrastes zwischen seiner leicht antiquierten Sprache und der überholten gesellschaftlichen Lebensumstände des frühen 20. Jahrhunderts einerseits und dem zwischen den Zeilen klar herauslesbaren freidenkenden, klaren Verstandes und Anliegens seiner Autorin andererseits überzeugt. Lektüre abseits des Mainstreams, wie man es heutzutage bezeichnen würde.