Ein deutscher Jude mit israelischen Wurzeln und eine Deutsch-Palästinenserin können miteinander reden. Gemeinsam reisen Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann seit 2023 für ihr Projekt »Trialog« von Schule zu Schule, um über den Krieg, die gegenwärtige Eskalation in Israel und Palästina sowie die Auswirkungen für das muslimische und das jüdische Leben in Deutschland zu sprechen. Sie schaffen in ihren Gesprächsrunden einen Raum, der auch Fragen und Ansichten zulässt, die viele sich nicht trauen zu stellen oder zu äußern. Damit beweisen sie, dass das Miteinanderreden möglich ist, und motivieren die Leserinnen und Leser, selbst in den Dialog einzusteigen.
Besprechung vom 17.12.2024
Was ein Jude und eine Palästinenserin in Schulen hören
Shai Hoffmann und Jouanna Hassoun schildern ihre Gespräche mit Jugendlichen über den Nahostkonflikt
"Du hurensohn jude. In die Kammern mit dir und deiner Sippe, geh duschen du nuttensohn." Dies ist eine der vielen Hassnachrichten, die Shai Hoffmann erhält, seitdem er begann, sich für einen jüdisch-palästinensischen Dialog in Deutschland zu engagieren. Auch der Palästinenserin Jouanna Hassoun begegnen Hass und Hetze, sobald sie ihre Social-Media-Konten öffnet. Ihr wird vorgeworfen, "von Zionisten gekauft" zu sein, und gleichzeitig, den Terror der Hamas zu relativieren.
Hoffmann, geboren 1982 in Berlin, ist Kind jüdischer Holocaustüberlebender. Hassoun wurde 1983 in einem palästinensischen Flüchtlingscamp in Libanon geboren und kam 1989 mit ihrer Mutter nach Berlin. Zusammen leisten sie heute eine Arbeit, deren Wert kaum hoch genug eingeschätzt werden kann: Sie gehen gemeinsam an Schulen und sprechen mit den Schülern über den Nahostkonflikt. Seit dem Massaker der Hamas in Israel und dem Beginn des Kriegs in Gaza erhalten sie mehr Anfragen, als sie erfüllen können: Es sind Hunderte, von ratlosen Lehrern, engagierten Schulleitern, manchmal auch von betroffenen Eltern.
Die Veranstaltungen, die Hassoun und Hoffmann dann in den Schulen abhalten, sind beeindruckend - und jedes Mal anders. Schon die Konstellation ist wohl einzigartig: ein jüdischer Mann und eine palästinensische Frau, die vor und mit den Schülern in einen Dialog treten. Sie sprechen über ihre Herkunft, Erlebnisse und Gefühle, und sie tun es auf eine Weise, die den Schülern Raum und das Vertrauen gibt, ihre eigenen Ängste und Ansichten mitzuteilen. Hassoun und Hoffmann schaffen es zu vermitteln, dass keine der Fragen dumm oder uninformiert, kein Gefühl falsch oder unberechtigt ist, und geben dann die Hintergrundinformationen, die in der jeweiligen Gesprächssituation benötigt werden.
Dadurch verläuft jede Veranstaltung anders. Mal öffnen sich die Schüler mehr, mal weniger, mal berichten Hoffmann und Hassoun mehr aus ihrer eigenen Erfahrung, mal sind vor allem (historische) Fakten über den Nahostkonflikt gefragt. Die Schüler sind es, die den Verlauf durch ihre Fragen und Beiträge gestalten. Ihre Veranstaltungen nennen Hassoun und Hoffmann darum "Trialoge", denn es sind immer drei Seiten beteiligt.
Mit ihrem Buch "Trialog. Wie wir über Israel und Palästina sprechen" haben sie nun ihre Erfahrungen mit diesen Veranstaltungen schriftlich niedergelegt. Der Anspruch bestand für sie dabei darin, auch in Buchform das "trialogische" Moment mit zu transportieren: Sie versuchen, mit ihren Lesern tatsächlich zu "sprechen" und Gesprächssituationen abzubilden. So gibt es Kapitel, in denen sie einander Fragen stellen und diese jeweils aus der Ich-Perspektive beantworten: "Wann bist Du zum ersten Mal einem Palästinenser/einem Israeli begegnet?", "Wie ist es für Dich, in Deutschland zu leben?", "Wie reagiert Deine Community auf Dein Engagement?".
Diese wechseln mit auktorial erzählten Kapiteln, in denen sie gemeinsam ihr Konzept erläutern, unter welchen Bedingungen wieder ein konstruktives Gespräch über den seit Generationen festgefahrenen Nahostkonflikt möglich werden könnte. Über das Buch verteilt finden sich Hintergrundinformationen zu wichtigen Aspekten: Gazastreifen, Libanon, Naqba, BDS-Bewegung. Jedes Kapitel endet mit einigen direkten Fragen an die Leser, als Einladung, sich darüber Gedanken zu machen: "Was passiert, wenn man das Gefühl hat, über etwas nicht sprechen zu können?", "Wie wurdest Du als Jugendlicher politisch geprägt?", "Wo und in welchem Zusammenhang begegnest Du in Deutschland jüdischem Leben/palästinensischem Leben?"
Es ist ein sehr lesenswertes, persönliches und tatsächlich "trialogisches" Buch geworden. Seine Stärke liegt vor allem darin, die Fragen rund um den Nahostkonflikt systematisch von mehreren Seiten aus zu beleuchten und eine kritische Selbstreflexion über die eigene Stellung darin mit zu kommunizieren. Diese beiden jungen Leute sind Leute mitten aus der deutschen Gesellschaft. Sie sehen deren Blickwinkel - und noch ein, zwei, drei andere. SUSANNE KUSICKE
Jouanna Hassoun, Shai Hoffmann: Trialog. Wie wir über Israel und Palästina sprechen.
Quadriga Verlag, Berlin 2024. 256 S.
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