Ungewöhnlicher Schreibstil in sehr kurzen Kapiteln, die Fragen über das Milieu beantworten und sich dem Thema Angst & Absicherung annähern
"Lebensversicherung" von Kathrin Bach ist für die Longlist des Deutschen Buchpreises nominiert worden. Auf dieser Liste landen oft Bücher, die auf die eine oder andere Art außergewöhnlich sind. Dieses hebt sich insbesondere durch seinen Schreibstil von anderen Werken ab. Das ganze Buch besteht aus vielen Minikapiteln, die meist nicht länger als eine Seite sind und sich mit Fragen wie "Wie das Dorf aussieht, in dem ich aufgewachsen bin", "Wo ich nach dem Kindergarten zu Mittag esse", "Was wir sonntags oft machen", "Warum man eine Rechtsschutzversicherung braucht" oder auch "(Versuchte) Suizide im Neubaugebiet" befassen. An diesen Kapitelüberschriften sieht man schon: das Buch ist insgesamt sehr tagebuchartig aufgebaut und so ist auch der Schreibstil, z.B."Wir sitzen im großen Auto meiner Eltern und fahren eine Straße unseres Dorfes runter und meine Eltern zeigen plötzlich auf ein Haus. Da habe der soundso gewohnt. Der hat sich letztens umgebracht. Wie denn? frage ich. Das Haus liegt dunkel da, ein Rollladen ist komplett heruntergelassen, der andere nur fast. Ich sitze vorn, meine Mutter hinten, mein Vater fährt mein Vater spricht so leise, dass meine Mutter ihn hinten nicht richtig versteht. Gift, sagt mein Vater. Und meine Mutter im gleichen Atemzug: Gas." (S. 203)Dieser vermutlich bewusst so gewählte Schreibstil lässt einen sich beim Lesen der Ich-Erzählerin nahe fühlen. Wir erleben das spezielle Milieu, in dem sie aufgewachsen ist und das sie so geprägt hat, direkt mit. Die Eltern, die beide als Versicherungsvertreter arbeiten, wie auch schon die Großeltern. Absicherung als großes Thema im Dorf, in dem über 90 Prozent der Einwohner bei dieser Versicherungsvertreterfamilie versichert sind. Es ist ein konservatives, enges Milieu, voll von dem Wunsch nach vermeintlicher Absicherung, die doch nie ganz möglich ist und mit noch so viel Geld keinen vorzeitigen Tod verhindern kann. Zwischendrin sind auf durchaus amüsante Art und Weise die Reklametexte für die diversen Versicherungen eingebaut, z.B."Den Unterschied zwischen gesetzlich und privat spüren Sie vor allem auch im Krankenhaus. Mit einer Zusatzversicherung können die Leistungenabgesichert werden, die gewünscht, aber nicht medizinisch notwendig sind. Eine stationäre Krankenzusatzversicherung übernimmt oder beteiligt sich an den Zuzahlungen für Gesundheitsmaßnahmen im Krankenhaus. Sei es die Unterbringung in einem Einbettzimmer oder die Chefarztbehandlung." (S. 161)Tode gibt es so einige, die geschildert werden, das können auch noch so viele Versicherungen nicht verhindern: ob der über 80-jährige Opa, der im Luxusurlaub im Meer plötzlich einen Herzstillstand erleidet oder der gerade mal etwas über 50-jährige kleinwüchsige Onkel, der nach Corona an Multiorganversagen stirbt. Mittendrin die Ich-Erzählerin, als Kind oft von Erbrechen und von Ängsten geplagt, immer heimlich viele Medikamente für jeden Notfall parat habend... und doch findet sie dann den Mut, als Autorin und Künstlerin ein relativ wenig abgesichertes Leben zu wählen.Das Buch liest sich aufgrund seiner Kürze, der Knappheit der Kapitel und des Schreibstils schnell und leicht, regt dabei aber tiefgründig zum Nachdenken darüber an, was Sicherheit und Absicherung überhaupt bedeuten, welchen Preis es mit sich bringt, alles absichern zu wollen und was es bedeutet, das eigene Leben zu wagen.