Was war das
Keine Sterne, weil was war das? Es hat so gut angefangen und dann? Rassistische und homophobe Sprache und trotzdem Buchpreis?Ich bin mit offenem Blick an dieses Buch ran: Genderfluides Erzählen, autofiktionaler Stil, Sprachgrenzen sprengen - let's fucking go, i guess? Und ehrlich: Die ersten Seiten waren sehr stark, fragmentiert, poetisch, eigen. Ich war in diesem Schmerz drinnen, in dieser Suche, in dem Spiel der Identität, dem Körper der Sprache. All das hat mich neugierig gemacht. Aber dann? Ein Absturz, den ich selten so beim Lesen hatte.Die Grundidee ist eigentlich stark. Wir haben hier eine queere, nicht-binäre Erzählerfigur, die sich auf Spurensuche in der eigenen Familiengeschichte begibt, Traumata aufarbeiten will, sich vom Erbe lösen will, aber auch irgendwie daran andocken möchte. Es geht um die Demenz der Großmutter, um Fragen nach Weiblichkeit, Körper, Begehren, Scham, Sprache.Doch anstatt das zu erzählen, was zwischen den Generationen geschieht, wird das Buch zunehmend ein endloser innerer Monolog über das eigene Begehren (inklusive expliziter Beschreibungen, die weder etwas zum Plot beitragen noch irgendwie reflektiert werden). Ich bin nicht prüde. Aber ich bin irgendwann einfach müde geworden von dem, was sich da Seite für Seite entlädt(ACHTUNG, AB HIER SPOILER):1. Sexualisierte Gewalt wird beschrieben, aber nie kritisch eingebettet:Die Erzählerfigur beschreibt mehrfach, wie sie Männer verfolgt, ihnen nachstellt, sie zum Sex nötigt, teilweise in gefährlichen Situationen, in denen Einvernehmlichkeit fragwürdig bleibt. Es wird davon erzählt, wie sie ungeschützten Sex hat, obwohl eine Ansteckung wahrscheinlich ist, ohne dass das moralisch oder narrativ je reflektiert oder hinterfragt wird. Die Schilderungen wirken eher wie ein Tabubruch um des Tabubruchs willen. Es fehlt die Auseinandersetzung mit der eigenen Verantwortung, die in einem autobiografisch gefärbten Text besonders wichtig wäre.2. Die Sprache wird bewusst derb, aber manchmal auch schlicht ekelhaft (ohne Mehrwert):"...dass es sich teuflisch gut anfühlt, durch die Straßen zu gehen und zu spüren, wie das Sperma extrem langsam den Körper wieder verlässt, langsamer als Honig, langsamer als die Tannenzapfenmelasse...". "Wenn ich Käse oder Karotten raffle, raffle ich mich mit."Diese Sätze wollen provozieren, klar. Aber sie driften ins Groteske ab, ohne dass Sprache hier noch Bedeutung stiftet. Es wirkt wie pubertäre Grenzüberwindung statt sprachlicher Subversion.3. Rassistische Stereotype werden reproduziert und nicht hinterfragt:Die Erzählerfigur formuliert sinngemäß, dass "wir Weißen" insgeheim alle "von Arabern hart gefickt werden wollen" und spricht auch vom "Drecksaraber". Das ist nicht nur zutiefst rassistisch, sondern bedient koloniale Fantasien und sexualisierte Exotisierung. Dass diese Aussage unkommentiert bleibt, ist sooo gefährlich.4. Homophobie und Misogynie blitzen in Sätzen auf, die angeblich "subversiv" sein sollen, aber letztlich nur verletzen:Die Mutter der Erzählinstanz wird als ungebildet, konservativ und "faschistisch" dargestellt, weil sie sich mit ihrer Herkunft befasst oder einen Gentest gemacht hat. Dabei wird sie in Dialogen regelrecht abgekanzelt, anstatt dass ein echter Austausch stattfindet. Körperliche Diversität wird thematisiert, aber in Formulierungen, die Ekel hervorrufen sollen. Die Body Positivity, die der Text zu wollen vorgibt, kippt dabei ins Gegenteil.Und währenddessen wird einem suggeriert: Das muss jetzt so sein. Weil politisch und queer. Sorry, aber nein, so funktioniert das nicht.Ja, das Buch experimentiert viel mit Sprache, Struktur, Form. Briefe, Gedichte, Gedankenstrudel, Sprachbilder. Aber irgendwann hatte ich das Gefühl, ich bin nicht in einem Roman, sondern in einem Monolog, der permanent Aufmerksamkeit fordert, ohne irgendwas zurückzugeben. Es ist, als würde jemand auf der Bühne stehen, Spotlight auf sich selbst richten, und rufen: Schaut mich an, ich bin so dekonstruiert, dass es schon wieder Kunst ist. Aber Dekonstruktion ist kein Selbstzweck.Und Kunst darf weh tun, aber sie muss dabei nicht gegen marginalisierte Gruppen treten.Ich war verwirrt und genervt und irgendwann auch wütend. Wütend, weil da so viele kluge, wichtige Ansätze waren, die einfach untergehen in diesem Strudel aus Ego, Überinszenierung und Grenzverletzung. Wütend, weil die queere, literarische Sichtbarkeit, die dieses Buch bekommen hat, so dringend gebraucht wird, aber hier leider durch problematische Bilder beschädigt wird. Wütend, weil da jemand ganz offensichtlich schreiben will, um zu heilen und sich dabei trotzdem wieder auf Kosten anderer inszeniert.Und ganz ehrlich: Ich verstehe nicht, wie dieses Buch den Deutschen Buchpreis gewonnen hat, weil es in Teilen schlicht gefährlich ist. Weil es rassistische Bilder nicht bricht, sondern weiterschreibt. Weil es Übergriffigkeit nicht benennt, sondern in poetischen Nebel packt. Weil es behauptet, für alle zu sprechen, aber eigentlich nur für sich selbst schreit.Fazit: Gibt's nicht. "Blutbuch" ist kein Roman, den ich bewerten kann.