Die Nacht der Bärin von Kira Mohn ist ein Buch, welches absolut unter die Haut geht und noch lange nachwirkt.
Nach einem heftigen Streit, der in einer Art und weise eskaliert ist, die die 26-jährige Jule am liebsten gar nicht wahrhaben möchte, flieht sie erstmal zu ihren Eltern, die ihr immer ein sicherer Hafen waren. Doch in ihre Ankunft platzt die Nachricht vom Tod ihrer Großmutter, die Jule nur von den jährlichen Geburtstagskarten kennt. Jule ist entsetzt, als sie die schockierte, aber völlig abgeklärte Reaktion ihrer Mutter mitbekommt. Auch um von ihrem eigenen Drama abzulenken, will sie das seit dreißig Jahren zerrüttete Verhältnis aufklären und sucht nach Antworten. Doch die Reise in das alte Zuhause ihrer Mutter bringt Abgründe ans Licht, mit denen Jule nie gerechnet hätte.
Dieses Buch ist keine romantische Lovestory oder Wohlfühlgeschichte, sondern ein sehr persönliches Werk der Autorin, mit dem sie aufwühlt und auf ein unangenehmes und oft verschwiegenes Thema aufmerksam macht, welches gerade deshalb klar benannt werden sollte. Gewalt in der Familie und Missbrauch finden oft im Verborgenen statt, während die Opfer hilflos ausharren und durch die Täter isoliert wurden.
Schonungslos und packend erzählt Kira Mohn aus den Perspektiven von Jule, die kürzlich selbst Opfer wurde und ihre Situation schönzureden versucht, und der zwölfjährigen Maja, die die Schwester von Jules Mutter Anna ist und die die Ereignisse vor dreißig Jahren aus ihrer Sicht berichtet.
Man ahnt von Anfang an, welches Grauen hier hinter verschlossenen Türen stattfindet, und doch ist man entsetzt, wenn das wahre Ausmaß der Abgründe deutlich wird. Manchmal war ich wütend auf Jule, weil sie ohne Rücksicht auf ihre Mutter so hartnäckig in der Vergangenheit wühlt, aber gleichzeitig ist dies auch notwendig, damit die Beteiligten irgendwann heilen können.
Mit wenigen Worten lässt Kira Mohn die bedrohliche Atmosphäre von damals lebendig werden, die einem beim Lesen förmlich die Luft abschnürt. Manchmal will man gar nicht weiterblättern, und doch ist es wichtig, genau dies zu tun, und eben nicht wegzuschauen, weil es einfacher ist.
Das Buch ist wirklich heftig und macht an vielen Stellen sprachlos. Gerade deshalb wird es mir jedoch lange im Gedächtnis bleiben und nachwirken.
Mein Fazit:
Gnadenlos, ungeschönt und trotzdem hoffnungsvoll. Klare Leseempfehlung!