Als Annetts Tochter Linn einen Zusammenbruch erleidet, zieht sie bei ihrer Mutter ein, in das Haus am Wattenmeer, nahe Husum, um sich zu erholen. Aus einer Woche werden zwei, dann mehrere, und als die Monate ins Land ziehen, wird es Zeit, dass beide Frauen darüber nachdenken, wie es weitergeht; mit ihnen, aber ebenso dem Leben allgemein. Dafür müssen auch unliebsame Dinge angesprochen und Barrieren beseitigt werden."Inzwischen habe ich begriffen, es grenzt an ein Wunder, wenn man geliebte Menschen um sich hat und sie nicht zu früh verliert. Ein noch größeres Wunder ist es, wenn es einem mehrmals im Leben gelingt, jemanden zu finden, der es gut mit einem meint." (Seite 50)Ich klappte das Buch zu und wünschte, ich könnte über den Inhalt sofort mit jemandem diskutieren, so vieles schwirrte mir im Kopf herum. Zu Beginn hatte ich, weil ich altersgemäß eher zu Annett passte, deren Ansichten überwiegend übernommen, im Laufe der Geschichte jedoch zusammen mit ihr als Ich-Erzählerin vieles davon wieder revidiert. Die Überzeugungen der fast fünfundzwanzigjährigen Linn bekamen dadurch zwar nicht automatisch meine Zustimmung, aber sie brachten mich zum Nachdenken und einiges ergab für mich tatsächlich einen anderen Sinn. Kristine Bilkau schaffte es, ihren Figuren Fragen in den Mund zu legen, die mich sogar bei Themen, die mich sonst nicht interessieren, ungeduldig auf Antworten warten ließen. Ob Klima, Naturkatastrophen, wirtschaftliche Probleme, der Tod, Angst vor Unfällen oder zwischenmenschliche Beziehungen, es kam so vieles vor, und eingeflochten in die Erzählung wurden sogar Nebensächlichkeiten wie ein Ziegelstein oder ein Tag am See zu einem wichtigen Ereignis, das sich einfügte und das Buch zu einem besonderen Lesevergnügen machte. Dafür ist der Preis der Leipziger Buchmesse mehr als verdient. Großartig!