Besprechung vom 31.08.2025
Alles lauwarm und okay
Leif Randts neuer Roman ist schon wieder in großstädtischen Trendvierteln angesiedelt, in denen hedonistische Kreative durch Bars und Galerien ziehen. Niemand hat Probleme. Ist das erstrebenswert?
Von Susanne Romanowski
Zieht man in einer Buchhandlung einen beliebigen Roman aus dem Regal, stehen die Chancen nicht schlecht, dass es darin um tote Mütter geht. Um Jahrzehnte der Fürsorge, Abgrenzung und Annäherung zwischen Elternteil und Kind, um Trauma und Geborgenheit. Kurzum: um größte, oft widerstreitende Gefühle. Doch dann steht da Marian Flanders, 41, bei der Trauerfeier für seine Mutter am Berliner Wannsee, und stellt fest: "Ausgerechnet am Tag der alternativen Seebestattung fühlte er sich so stabil wie lange nicht. Er hielt eine kleine Wasserflasche in der Hand und lächelte." Mit so viel Gleichmut beginnt gerade ein Roman mit dem Titel "Let's Talk About Feelings". Und wirft Fragen auf, denn: Über welche Gefühle soll man da schon sprechen? Wenn einer der größten Wendepunkte im Leben eines Menschen bei lauwarmen Salzbrezeln so undramatisch vonstattengeht?
Die Gefühle dürften sich im Spektrum lauwarm bis okay bewegen. Zumindest liegt diese Vermutung für alle nahe, die den erfolgreichen Vorgänger "Allegro Pastell" (2020) gelesen haben. Darin erzählt Randt von zwei Menschen, denen es an nichts mangelt: er ein gefragter Grafikdesigner, der im Wohneigentum vor sich hin programmiert; sie eine gefragte Autorin, die mit ihrem Romandebüt direkt durchgestartet ist. Keine Geldsorgen, kein Stress mit den kerngesunden Eltern. Ihre Freizeit verbringen die Kreativen um die dreißig in Clubs und Badmintonhallen, und sollte ihnen doch einmal der Sinn nach Emotionen stehen, die sich jenseits von "cute" oder "nice" befinden, brechen sie eine Ecstasy-Pille entzwei. Zwar gibt es hier ein bisschen Heartbreak, da eine zu hastig abgeschickte Nachricht, doch: Alle scheinen auf einer Welle der Gelassenheit in den Sonnenaufgang zu reiten.
Entsprechend einfach ist es, sich über diese Figuren lustig zu machen. Über ihr Kokettieren mit Hähnchenimbissen und Alkoholikerkneipen bei absoluter Stilsicherheit und höchstens peripherem Kontakt zu den sogenannten einfachen Leuten. Allerdings entwickeln Randts distanzierter Ton und seine präzisen Milieubeobachtungen einen Sog, der selbst die weltfremdesten Yuppies wie Menschen erscheinen lässt, wenn auch nicht unbedingt wie sympathische. Er sorgt dafür, dass man die Augen nicht vom Text nehmen kann, sooft man auch mit ihnen rollt.
Ein Literaturkritiker schrieb, dass sich jeder Millennial, der ein Buch schreibt, künftig zu "Allegro Pastell" verhalten müsse. Das ist Unsinn. Denn "Allegro Pastell" ist ein Roman über eine Gesellschaftsschicht, die man vor allem in großstädtischen Trendvierteln und in Schreckensszenarien der CDU trifft. Mit dieser Gruppe identifizieren sich die meisten Millennials nicht, nicht einmal die Schreibenden.
Doch wenn sich einer zu "Allegro Pastell" verhalten muss, dann Leif Randt selbst. Denn sein neuer Roman ist erneut in großstädtischen Trendvierteln angesiedelt, in denen hedonistische Kreative durch Bars, Galerien und Popkulturverweise ziehen. Sicher, man kann die überspitzte Betrachtung dieses Macbook-Vintage-Designerdrogen-Milieus für auserzählt halten. Es gibt aber Autoren, die daraus Aufschlussreiches ziehen, etwa Georges Perec 1965 in "Die Dinge" oder Vincenzo Latronico in "Die Perfektionen" (2022), einem nihilistischen Neuköllner Expat-Roman. Randts neuer Roman unterscheidet sich von diesen jedoch in einem zentralen Punkt: Seine Figuren fühlen sich wohl mit ihrem Leben.
Allen voran Marian Flanders, "ein Sohn, ein guter Freund, ein Expartner und ein Verkäufer, ein Teil der Gesellschaft". Der Romantext ist aufgeteilt in 14 Kapitel, etwa die Hälfte spielt in Berlin: im Olympiastadion, im Programmkino, in der Parkanlage Gärten der Welt. Ansonsten reist Marian nach Osaka, Neu Delhi oder zu einer Volkswagen-Firmenparty in Wolfsburg. In seiner mehr schlecht als recht laufenden Schöneberger Boutique "Kenting Beach" verkauft er Designerteile und Secondhandschätze. Benannt ist der Laden nach einem Strand in Taiwan, den er mit seiner Ex-Partnerin besucht hat. Die erwartet nun ein Kind mit ihrem neuen Freund, während Marian absichtlich Fälschungen ins Sortiment aufnimmt und mit der Hausärztin seiner verstorbenen Mutter Carolina anbandelt. Die Ärztin zitiert Carolina, die ahnte, "dass du in der Midlife Crisis bist. Du würdest dir viel zu viele Gedanken über bunte Küchen machen."
In der Midlife-Crisis werden aus Männern oft Macker. Sie tauschen Windeln gegen Sportwagen, Ehefrauen gegen Affären. Marian hingegen bleibt harmlos. Selbst die Beziehung zu einer jüngeren Filmemacherin entwickelt sich weitgehend frei von Blamagen. Romanzen stoßen ihm eher zu, und wer keine Gattin und keine Familie hat, kann sie auch nicht verlassen. Stets ein eher passiver Mensch, hält er sich an den Dingen fest, die er einschätzen kann. Am charmanten Fischerhut seiner Halbschwester, am leider etwas zu engen Mantel des Halbbruders.
Der Fokus auf Konsumgüter wirkt manchmal überheblich, produziert aber auch zarte Momente: "Vor seinem Frühstück (einer Schale voller Bio-Haferflocken, Aldi-Knusperone und Mandelmilch) hatte er sich mit einem Mal wie ein alleingelassener Erstklässler gefühlt." Wer schon einmal getrauert hat, weiß um die seltsame Gleichzeitigkeit von Verlust und Banalität. In solchen Momenten blitzt auf: Es ist doch nicht immer alles lauwarm und okay. Und doch blickt Marian mit Optimismus in die Zukunft. Auf einem Japantrip sinniert er sich in ein "Middleage der Fernreisen und Freundschaft" und bricht "vor lauter Vorfreude auf diese unmittelbar bevorstehende Lebensphase fast in Gelächter aus".
Die Freundschaften, das sind sein Buchhalter Sergej oder sein Freund Piet. Oder sein Vater, früher Nachrichtenmoderator, jetzt zögerlicher Tiktok-Star. Rettung kommt auch aus dem Jenseits. Denn jeder von Carolina Flanders' erinnerten Kommentaren ist eine Pointe: "Solange dieser Kronleuchter nicht von der Decke kracht, ist Westberlin intakt", sagt sie in einem Lokal. "Hier kocht ein eleganter Clown", meint sie über Marians neue Küche. Von ihrem Leben erzählen ihm auch eine Nachbarin und eine Haushälterin, zwei ältere Frauen, mit denen Marian viel Zeit verbringt. Ein Glück für die Leser. Denn Marian ist von allen Figuren in diesem Roman die langweiligste.
Es ist der Fokus auf Freundschaften, der diesen Roman sympathischer macht als "Allegro Pastell". Tanja und Jerome, die Hauptfiguren des Vorgängers, behandeln ihre Liebe mit großem Ernst. In "Let's Talk About Feelings" hilft Piet Marian hingegen, die Trauerrede für seine Mutter zu schreiben. Das ist immer noch etwas neurotisch, zeigt aber Verletzlichkeit und Humor. Was gut zum zurückhaltenden, kühlen Ton passt, der schon frühere Romane des Autors prägte. Alles fließt, Anglizismen fügen sich stimmig ein, manchmal muss man laut lachen. Randt interessiert sich, und das können nicht viele Autoren von sich behaupten, für Optimismus. Sogar für Utopien, etwa in seinem Roman "Planet Magnon" (2015). Doch diese beruhen nie auf Euphorie, sondern auf sanfter Zufriedenheit und reibungslosen Abläufen. Es passt, dass die Sprache ohne Brüche genau das zu artikulieren vermag, was gemeint ist.
Auch in diesem Text ist eine kleine Verliebtheit das, was Marian am stärksten aus der Bahn wirft. Ansonsten lebt er, trotz des Verlusts der Mutter, eine erstaunliche Balance, geht einer Arbeit nach, pflegt Beziehungen, ohne Kinder zu haben oder sich jedes Wochenende im Club zu verlieren. Und gerade diese Geschmeidigkeit macht misstrauisch. Denn alle Bezugspersonen fügen sich nahezu reibungslos in Marians Leben ein. Carolina wurde bis zum Schluss von den Frauen in ihrem Leben gepflegt. Niemand hat von ihm verlangt, dass er sich kümmert. Das Geld, mag es in der Familie Flanders-Coen auch weniger geworden sein, reicht, um solche Aufgaben auszulagern. So kreist Marian um sich selbst. Und wundert sich, als die frühere Haushälterin Eliana ihn im Ferienhaus auffordert, die Fenster zu putzen, "schließlich hatte er durchgehend das Gefühl gehabt, dass sie jede Form von Hausarbeit gerne verrichtete".
Als "Allegro Pastell" im März 2020 erschien, war nicht abzusehen, wie die Pandemie die Gesellschaft verändern würde. Auch in diesem Roman wird auf das Virus angespielt, Randt aber schafft eine alternative Realität. Robert Habeck, der nun sein Bundestagsmandat niederlegt, ist in diesem Text noch Vizekanzler. Eine fiktive progressive Partei regiert, doch auch hier erstarken die Rechten. Marian wählt halbherzig die Linken, will an Weihnachten gerade zu einer politischen Debatte ansetzen, aber dann doch lieber erfahren, "ob die Grundsanierung in der ehemaligen Wohnung seiner Mutter mit Stil durchgeführt worden sei". Es sind seltene Momente, in denen Randt Politisches und Privates so deutlich aufeinanderprallen lässt. In denen klar wird, worum es in diesem Roman eigentlich geht: um mittelalte Menschen mit dem losen Wunsch, das Gute zu tun, und dem Bedürfnis, das Schöne zu besitzen.
"Let's Talk About Feelings" lässt sich als eskapistischer Roman lesen. Als Utopie im Kleinsten, als Inspektion überwiegend privater Affekte. Und doch unterscheidet es sich von anderen Büchern, mit denen Menschen sich sonst von zeitgenössischen Krisen ablenken. Die leichenfreien Kriminalgeschichten in Küstenörtchen oder die erotischen Fantasytrilogien handeln oft fernab von Gesellschaft und Gegenwart. Marian Flanders steckt mittendrin, er interessiert sich nur kaum dafür. Unter der Behaglichkeit, unter dem Gefühl der Kontrolle, das sein kuratiertes Leben ausstrahlt, liegt etwas Dunkles. Das kann man ignorieren und auf der Fläche der eleganten Prosa schwimmen. Etwas Inspiration für die Wohnungseinrichtung gibt es gratis dazu. Oder man liest es mit und fragt sich, wie erstrebenswert eine Welt wirklich ist, in der es keinen Raum für Probleme oder Bedürftigkeiten gibt.
Leif Randt: "Let's Talk About Feelings". Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, 320 Seiten
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