Ein ganz besonderer Roman mit ein paar Längen
Neben dem lesen schaue ich außerdem noch unheimlich gerne Serien. Irgendwann dachte ich mir dann, es wird Zeit mir Netflix zu gönnen, denn dort findet man Serien im Überfluss, manche gut, manche schlecht. Eine sehr gute Serie, die ich nur durch Zufall entdeckt habe, war ¿¿¿¿¿ ¿¿¿¿¿. 6 Folgen die ich verschlungen habe und als ich las, dass es sich um eine Romanvorlage handelt, habe ich mich schon ein bisschen geärgert, dass ich nicht zuerst das Buch gelesen habe. Aber manchmal ist es gar nicht schlecht, sich visuell auf ein etwas anspruchsvolleres Buch vorzubereiten.1843, Toronto: Das schöne Dienstmädchen Grace wird zu lebenslanger Haft verurteilt, weil sie am Mord ihrer beiden Vorgesetzten beteiligt gewesen sein soll. Aber Grace beteuert ihre Unschuld und gibt sich als Opfer. Jahre später versucht der Psychologe Dr. Jordan hinter die Fassade zu blicken. In mehreren Sitzungen kommt er Grace immer näher, hört ihre Geschichte, ihre Version und verfällt der angeblichen Mörderin dabei immer mehr. Aber ist sie wirklich die Unschuld in Person oder ist alles nur gespielt?Sobald man das Buch anfängt, merkt man schon, wie gut die Serie umgesetzt bzw. wir gut gecastet wurde und wie gut sich die Schauspieler vorbereitet haben. Das hat mir sehr geholfen, denn der Roman ist mitunter etwas anstrengend, dicht bedruckt und recht lang.Es gibt wenig Dialoge und viele Monologe. Grace habe ich immer gern "zugehört". Sie hat eine so ruhige und bedächtige Art zu erzählen. Etwas einfach gehalten mit sehr vielen "und's", aber ohne dass es dabei stupide wirkt. Von Margaret Atwood kenne ich bisher nur noch "The Handmaids Tale" als Serie und vom Stil her erinnern Grace's Monologe auch sehr an die von Offred. Jedenfalls hing ich genau wie Dr. Jordan an ihren Lippen, wenn sie vom Alltag und den kleinen Freuden einer Dienstmagd erzählte. Aber auch von harten Zeiten, von Tod und Verlust.Mit Dr. Jordan hat man es schon etwas schwerer, da man auch seinen Gedanken folgt und die sind oft nicht nett. Zudem quält er sich immer wieder mit erotischen Fantasien herum, von denen man nicht unbedingt Zeuge sein will. Dennoch blitzt der gute Wille hin und wieder durch. Und trotzdem ist es schwer ihn sympathisch zu finden.Generell kommen die Männer hier nicht gut weg. Frauen sind die Opfer der Männer und Männer sind die Opfer ihrer Lust. Allerdings geht es Atwood komplexer an als viele andere.Während manche Männer ohne Umschweife richtige Mistkerle sind, sind andere nicht offensichtlich böse. Am besten kommt noch der Hausierer Jeremiah weg, der ehrlich zu Grace ist, ihr eine Chance anbietet, sie aber nicht drängt. Der aber auch nicht den Helden spielt und sich selbst der Nächste ist.Schließlich ist es vor allem die Frage nach Grace's Schuld oder Unschuld die einen auch als Leser umtreibt. Dabei kommt sowohl eine fantastische, als auch eine psychologische Erklärung zum Einsatz. Für mich war der Fall am Ende relativ klar, während andere Leser hier und da noch versteckte Hinweise erkannt haben wollen. Aber der Roman ist meiner Meinung nach nicht weniger raffiniert, nur weil man am Ende eine relative klare Auflösung bekommt.Ob Grace' weiteres Leben nun ein glückliches ist, darüber lässt sich sicher streiten. Für mich war sie am Ende jemand, der seinen Frieden gemacht und sich ihrem Schicksal ergeben hat. Welches das im weiteren Verlauf werden würde, bleibt im Dunkeln. Obwohl man als Leser gerne alles restlos erfahren hätte. Und so bleibt sich der Roman bis auf den letzten Seiten treu. Ich fand das Ende ganz passend.Das Buch ist für mich sicher eines meiner Jahreshighlights und mir trotzdem nicht ganz 5 Sterne wert. Es ist mitunter anstrengend und es gibt Stellen, die schleppen sich dahin, mögen sie auch noch so wichtig für die Handlung sein. Ansonsten ein großartiger Roman, den ich auf jeden Fall weiterempfehlen kann.