Albtraum auf der Ostsee ¿ bitte nicht ans Deck gehen!
Wer hätte gedacht, dass eine gemütliche Fährfahrt so rasant in die Hölle abbiegen kann? Anfangs schwappt hier noch die typische Ostsee-Partystimmung über - laute Musik, billiger Alkohol, peinliche Karaoke-Einlagen - man riecht fast den Bierdunst zwischen den Seiten. Doch dann schleichen Mutter und Kind an Bord, und plötzlich kippt die Stimmung schneller als ein Tablett Schnaps bei Seegang.Mats Strandberg hat's drauf, die scheinbar harmlosen Szenen mit so einer unterschwelligen Unruhe aufzuladen, dass einem schon mulmig wird, bevor das Grauen überhaupt richtig losgeht. Und wenn es dann losgeht, dann aber volle Breitseite: blutig, fies, überraschend emotional. Ich hatte Gänsehaut, Schweißhände und kurzzeitig ernsthaft den Gedanken, alle Fährreisen für die nächsten 20 Jahre abzusagen.Was Strandberg besonders gut kann, ist diese Mischung aus Gesellschaftsstudie und Horror. Jeder Charakter ist glaubwürdig - von der müden Barkeeperin über den prolligen Junggesellen bis hin zum kleinen Kind, das eigentlich nur schlafen will, während draußen die Hölle losbricht. Der Horror ist nicht nur im Übernatürlichen zu finden, sondern auch in den Menschen selbst.Ein paar Längen schleichen sich zwischendurch ein, und der Horror hätte zum Ende hin noch eine Spur mehr Wumms vertragen können. Trotzdem: "Die Überfahrt" ist wie eine Nacht auf See mit bösem Erwachen - beklemmend, intensiv und mit einem literarischen Wellengang, der ordentlich nachschwingt. Wer Fitzek zu brav findet und King zu langatmig, wird hier glücklich - oder zumindest herrlich verstört.Fazit: Skandinavischer Horror mit Gänsehautgarantie und überraschend viel Herz. Danach trinkt man lieber an Land.