Besprechung vom 11.09.2025
Schluss mit der Halbherzigkeit
Vielschreiber Michel Friedman hat schon wieder ein Buch veröffentlicht: In "Mensch!" fordert er Politiker und Bürger auf, sich mit mehr Eindeutigkeit gegen autoritäre Tendenzen zu stellen.
Von Alexander Jürgs
Vier Bücher in drei Jahren: Michel Friedman schreibt derzeit so viel wie kaum ein Zweiter. In "Fremd", im September 2022 erschienen, setzte sich der jüdische Publizist mit seiner Familiengeschichte auseinander, mit der Stigmatisierung als "Fremder" in einem Land, das die Auseinandersetzung mit seiner dunklen Vergangenheit scheut. In "Judenhass" gab er seiner Enttäuschung Raum über die ausbleibende Empathie für Juden nach dem Massaker vom 7. Oktober 2023. In "Schlaraffenland abgebrannt" sezierte er die deutsche Angst vor Veränderungen und Umbruch. Und nun, in seinem neuen Buch mit dem prägnanten Titel "Mensch! Liebeserklärung eines verzweifelten Demokraten" ruft er Politiker und Bürger auf, sich eindeutiger gegen die Angriffe auf die Demokratie zu stellen.
Wachrütteln, das sieht der Frankfurter Rechtsanwalt, Publizist und Moderator als seine Aufgabe. Dass seine Sorgen um den Fortbestand von Demokratie und Streitkultur groß sind, daraus macht er in seinem Buch kein Geheimnis. Das Vertrauen in die Institutionen des Staates, gegenüber Parteien und Politikern, schwinde immer rasanter, stellt Friedman fest - und beklagt, dass dagegen zu wenig unternommen werde. Extremisten vom linken wie vom rechten Rand, aber auch Islamisten gelinge es nur zu leicht, von dieser Schwäche der Demokraten zu profitieren. Vor einem Akteur warnt er besonders: der "Partei des Hasses", die immer unverblümter Minderheiten das "Menschsein" abspreche. Dass Friedman damit die AfD meint, liegt auf der Hand.
Wer verfolgt hat, wie der Publizist sich zuletzt in Debatten äußerte, wer seine Reden wie die im Oktober 2024 im Hessischen Landtag zum 50. Todestag des Judenretters Oskar Schindler hörte, in der er die Rechtspopulisten scharf angriff, ist über solche Thesen in Friedmans neuen Buch nicht erstaunt. Die Sehnsucht nach starken, autoritären Anführern, wie sie der US-Präsident Donald Trump oder der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán darstellen, besorgt den Autor schon länger. Mehr noch aber entsetzt ihn die mangelnde Gegenwehr gegen die Autoritären, der naive Glaube daran, dass alles schon wieder gut werde. "Wir nehmen Autokraten nicht ernst genug", lautet sein frustriertes Resümee. Und: "Wir nehmen auch die Extremisten, die Linken, die Rechten, die Islamisten nicht ernst."
In der Pflicht, sich zu engagieren, sieht Friedman die Zivilgesellschaft. Von den Bürgern des Landes wünscht er sich mehr Widerspruch, wenn Minderheiten angefeindet, wenn Antisemitismus, Rassismus und Queerfeindlichkeit verbreitet würden. Besonders gefordert sieht er jedoch die Politiker. Denn gegen den Frust im Land haben sie seiner Meinung nach derzeit keine Antworten parat. Lösungen für drängende Probleme würden im Wahlkampf zwar oft versprochen, blieben dann aber meist aus. Von einer "Verantwortungsverweigerung" der Politik spricht Friedman deshalb, von einem Staat, der seinen Bürgern eigentlich Selbstverständliches oft schuldig bleibe: gute Kitas und Schulen etwa, Reparaturen an der Infrastruktur, eine pünktliche Bahn. "Ein demokratischer Staat muss ein funktionierender Staat sein", schreibt Friedman. Seine Sorge: Sollte sich nicht bald etwas ändern, werde sich die "Demokratiemüdigkeit" weiter breitmachen. Schluss mit der Halbherzigkeit: So lässt sich der Appell des Autors zusammenfassen.
Als Friedman im Januar aus der CDU austrat, sorgte das für viel Aufsehen. Von 1984 bis 1987 hatte er die Partei in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung vertreten. Von 1994 bis 1996 war er Mitglied des Bundesvorstands. Nachdem er Bundeskanzler Helmut Kohl in einem Interview "unerträgliche Arroganz" vorwarf, scheiterte - wenig überraschend - seine Wiederwahl. Doch obwohl Friedman oft links von der Parteilinie stand, blieb er der CDU doch lange treu. Der Bruch kam, als Friedrich März sich darauf einließ, im Bundestag gemeinsam mit der AfD für eine Verschärfung der Migrationspolitik zu stimmen.
Sein neues Buch macht Friedmans Entfremdung von der CDU nun noch einmal deutlicher. Seine Ablehnung einer Politik, die Flüchtlinge vor allem als Bedrohung einstufe, formuliert er klar. Hoch besorgt ist Friedman über Annäherungsversuche zwischen CDU und der großteils rechtsextremen AfD. Seiner früheren Partei wirft er vor, dass sie ihren Kompass verloren habe. "Die Union, einst Garant stabiler Mehrheiten, taumelt zwischen Radikalisierung und Kurshalten", schreibt Friedman. Dringlich warnt er die CDU davor, sich auf eine Koalition mit den Rechtspopulisten einzulassen. Ob die Partei auf ihn hören wird, wird sich zeigen.
"Mensch!" von Michel Friedman ist im Berlin-Verlag erschienen (20 Euro). Auf der Buchmesse wird Friedman das Buch zweimal präsentieren, am 16. Oktober von 16 Uhr an am Stand der "Süddeutschen Zeitung" sowie am 18. Oktober von 15 Uhr an am Stand vom PEN Berlin. Im Frankfurter Schauspiel liest er am 23. Januar 2026 aus dem Buch.
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