Entwickelt im letzten Drittel einen Sog und eine Finesse, die ich anfänglich nicht erwartet hätte.
Die Ankündigungstexte verraten nicht zu viel, was gut ist, daher am besten hier nicht weiterlesen, wenn man den Prozess der Spurensuche gerne mitgehen möchte. Und dies macht schließlich auch den Reiz des Textes aus. Die Autorin leitet ihre Geschichte mit einem Zeitungsartikel über eine manipulative, gewalttätige, ältere Frau ein, die von einer jungen Frau, die sich in ihrer Gewalt befunden hatte und schließlich flüchten konnte, angezeigt wurde. Hana Ito, die Ich-Erzählerin des Buches, erkennt darin ihre quasi Ersatzmutter und ehemalige Mitbewohnerin wieder und versetzt uns zurück in die Vergangenheit zur ersten Begegnung mit dieser Frau und der etwas später darauf folgenden gemeinsam verbrachten Jahre. Mir als Leserin ging es nun so, dass ich immer wieder versuchte, die Frau aus dem Zeitungsartikel mit der Komiko abzugleichen, die Hana kennenlernt und beschreibt. Dabei hat Kimiko eigentlich überhaupt nichts unheimliches an sich, außer, dass sie plötzlich auftaucht und einfach da ist und neben ihr schläft. (Was natürlich eigentlich ziemlich unheimlich ist.) Feinfühlig erzählt die Autorin aus der Wahrnehmung eines Kindes und einer einsamen jungen Frau auf der Suche nach einem Platz im Leben, wo man mehr als einfach existieren kann, wie es nämlich im Leben mit ihrer Mutter der Fall ist. Die Mutter lebt von der Hand in den Mund und Hana wächst in sehr ärmlichen Verhältnissen auf. Auch Kimiko kommt aus schwierigen Verhältnissen. Relativ mittig in der Erzählung erfahren wir über sie, dass sie in ihrer Kindheit ein "Geldesel" gewesen sein soll, eine Person, die man komplett ausbeuten kann, da sie niemanden hat, der sich um sie kümmert. Als junge Frau habe sie es dann aber laut Yeong-su geschafft, "nicht mehr aufs Kreuz gelegt" zu werden. Seitdem erfährt sie auch Unterstützung von ihm und von einer Kotomi, die beide auch in Hanas Leben Bedeutung bekommen haben. Da sich das Geschehen zunehmend in kriminellen Machenschaften bewegt, wirft sich mehr und mehr die Frage auf, wem sie trauen kann und wem nicht. Während ich als Leserin immer noch versuche, eine gefährliche Kimiko zu entdecken, verwandelt sich die Erzählerin selbst im Eifer ihres Geldscheffelns und steigender Paranoia in eine tyrannische Klein-Clanchefin.Der Text spielt mit Perspektiven und wirft die Frage auf, ab wann wir eigentlich selbst für uns und unser Handeln verantwortlich sein können. Zur Zeit der Entstehung des Textes wurde der Beginn der Volljährigkeit in Japan von 20 auf 18 gesenkt (2022). Genau in diesem Alter befindet sich Hana, als sie kriminell wird, und ihre Freundinnen und Mittäterinnen werden sich später als Opfer und manipulierte Minderjährige bezeichnen. Bei der jüngeren Freundin hätte dies Bestand, bei der Älteren von beiden jedoch nicht - und bei Hana dann auch nicht mehr, denn sie ist zu Beginn ihrer Kleinkriminellenkarriere 18 Jahre alt.Leicht macht es einem die Autorin nicht, Urteile zu fällen, da alle Figuren zum großen Teil Opfer ihrer Verhältnisse sind. Sie denkt viel über den Wert des Geldes nach, wobei es eher Nähe, Liebe und Anerkennung sind, die den Frauen wirklich fehlen. Dass diese Werte nicht mit Geld zu kaufen sind, muss Hana schmerzlich erfahren. Mieko Kawakami hat eine starke Erzählung geschaffen, die in ihrer Uneindeutigkeit, ihrem Schmerz und ihrer existenziellen Dringlichkeit noch lange nachklingen wird.