Liebes weisses Buch,
da liegst Du nun vor mir auf meinem Couchtisch, unschuldig, fast harmlos anmutend, aber doch mit brisantem Inhalt. Wir reden und diskutieren uns über Dich die Köpfe heiß, äh heiss, und letztendlich hinterlässt Du bei vielen eines: Ratlosigkeit. Warum machst Du das?
Zuerst möchte ich, wie manch anderer Rezensent vor mir, Deine Gestaltung loben. Ganz in weiß kommst Du daher, eben frisch, unschuldig, beschriftet mit Buchstaben, die wie mit einem akkuraten Locher ausgestanzten Löchern wirken. Schön, sehr schön.
Wie man mit Dir umgeht, hängt davon ab, was man von Dir erwartet hat. Jeder Leser geht anders an ein Buch heran, der eine läßt sich überraschen, der andere informiert sich vorher. Jede Herangehensweise hat ihre Vor- und Nachteile, und jeder wird sicher am besten wissen, wie er an eine Sache herangehen mag. Aber ich schweife ab.
Ich gehöre eher zum Schlag der Vorabinformierer, und so dachte ich mir schon, dass Dein Besitz, liebes weisses Buch, eine humoreske Veranstaltung werden würde. Und bereits auf den ersten Seiten merkte ich, wie recht ich mit dieser Vorstellung hatte. Die Biografie, die Du uns präsentierst, soll tatsächlich so passiert sein, in Grundzügen jedenfalls. Dein Schöpfer, Herr Horzon, präsentiert uns ein unterhaltsames, skurriles Schelmenstück, nämllich reichlich Erzählungen aus seinem Leben, über seine Geschäftsideen, über seine Träume und das Schalten und Walten in der Berliner Kunstszene, zu der man doch eigentlich gar nicht gehören will. Denn Künstler, das ist in Berlin ja jeder (so wie in LA alle Schauspieler sind).
Die Ideen, die präsentiert werden, unter anderem der Möbelladen mit nur einer Sorte Regal und dann auch noch vernagelten Fenstern, die Galerie mit erfundenen Künstlern, die Hähnchenbraterei ließen mich lachen und staunen. Besonders angetan hatte es mir auch die Kneipe mit den Kleiderbügeln an der Wand, die man von außen nur über einen Stuhl erreichen kann, weil die Tür zugemauert wurde. Herrlich.
Dein Erzählstil erinnert mich des öfteren an die abstrusen und skurrilen Geschichten von Helge Schneider, was in meinen Ohren durchaus ein Kompliment ist, aber auch dieser Künstler (wenn er denn einer ist oder sein möchte) polarisiert.
Eigentlich finde ich, dass man über Dich gar nicht recht diskutieren kann, denn ich finde, der Sinn für Humor spielt bei Deiner Betrachtung eine große Rolle. Das soll jetzt nicht heißen, dass jemand, der Dich nicht mag, keinen Humor hat. Allerdings sollte man schon mit einer sehr speziellen Art Humor zurechtkommen können, um an Dir seinen Spaß zu haben.
Letzendlich zeigst Du uns (oder mir, ich spreche ja schließlich nicht für alle), wenn man Dich auf die Grundpfeiler entkernt, einen jungen Mann mit Visionen, der sich immer wieder neue Geschäftsideen ausdenkt, mal erfolgreich ist, mal scheitert. Also eine eigentlich ganz alltägliche Geschichte, wie sie in dieser Welt bereits millionenfach geschehen ist. Das ganze dann allerdings so verpackt, mit so viel absurden Einfällen und skurrilen Erzählungen gespickt, Geschichten, die geradewegs aus dem Leben von Münchhausen und Eulenspiegel zu stammen scheinen, das ist KUNST! Also eigentlich genau das, was Du, liebes weisses Buch, gar nicht sein willst...
Ob Dein Erschaffer jetzt nun eine wahre Figur des öffentlichen Lebens ist oder auch diese Gestalt zur Abrundung des ganzen Kunstprojektes erschaffen wurde, darüber sollte sich jeder seine eigene Meinung bilden. Fest steht für mich, dass ich es nicht bereue, Deine Bekanntschaft gemacht zu haben, denn ich brachte vergnügliche Stunden mit Dir zu. Aber das liegt vielleicht daran, dass ich Dich von Anfang an nicht als ernsthafte Lektüre angesehen habe. Genau so kann ich aber auch Menschen verstehen, die enttäuscht sind, weil sie etwas anderes erwartet haben. Aber im Leben wie auch in der Kunst gefällt einem eben nicht immer alles.
Von mir gibt es für Dich drei Sterne mit leichter Tendenz nach oben. Allerdings nahmen für mich im letzten Teil das ständige "ich kenne diesen und jenen" und das Skurrile doch ein wenig überhand, weshalb ich letztendlich doch nicht zu den zuerst angepeilten vier Sternen greifen möchte.
Also, liebes weisses Buch, mach es gut, behalte Deinen Humor und paß auf Dich auf - wir sehen uns bestimmt mal wieder!