Jonas kommt erst mit vierzehn in das "Heim der Wölfin¿. In dem Kinderheim im Autobahnwald haben alle Kinder ihr ganz eigenes Schicksal, ihre eigenen Wunden, die nicht zu verheilen scheinen. Da ist Frei, der seine immerwährende Wut nur schwer zu unterdrücken mag. Da ist Sinan und seine kleine Schwester Beria, die seit dem Brandanschlag, bei dem ihre Eltern ums Leben kamen, nicht alleine schlafen kann. Da ist der stotternde Pappel, der sich durch seine schwarzen Klamotten und die langen ins Gesicht fallenden Haaren von der Welt abzuschotten scheint. Und zuletzt ist da die kleine Lilly, die mit ihren großen traurigen Augen nach dem Autounfall ihrer Eltern Schutz in der Gruppe sucht.Die Kinder geben sich gegenseitig Halt, aber sie alle wachsen auch auf mit dem einen Ziel erwachsen zu werden. Denn nur wenn man erwachsen ist, so wissen sie, kann man das Haus der Wölfin verlassen und diesen Lebensabschnitt hinter sich lassen. Und so werden sie alle viel zu schnell erwachsen, werden ohne elterlichen Beistand in eine Welt hinauskatapultiert, die es nicht nur gut mit ihnen meint.Es ist ein Thema mit dem ich mich bisher noch sehr wenig beschäftigt habe: was es heißt in einem Kinderheim aufzuwachsen, spätestens nach dem 18. Geburtstag alleine dazustehen und niemanden zu haben, den man um Hilfe bitten kann. Atemlos folge ich Salih Jamals Beschreibungen der ganz individuellen und dennoch gleichermaßen schockierenden Schicksale von Jonas Freund*innen. In unglaublich gelungenen Worten umreißt Salih Jamal die Zeit in die sie hineinkatapultiert werden - das Deutschland der 90-er Jahre, eine Zeit des Aufbruchs, der Hoffnung. Und dann?Das Buch gerät auf seltsame Weise ins schlingern, scheint sich mehr von Lebensweisheit zu Lebensweisheit zu hangeln als den Charakteren gerecht werden zu wollen. Das, was mich am Anfang in der Geschichte gefesselt hat, das Thema des Aufwachsens im Kinderheim erscheint nun klein. Plötzlich werden viel größere Fragen verhandelt. Fragen der Individualität, der Liebe, der Schuld - erzählt an den Schicksalen der sechs Kinder. Es ist ein Gesamtkonzept, das meines Erachtens viel zu groß ist für ein einzelnes Buch. Und so schwindet allmählich meine anfängliche Begeisterung und ich lege das Buch am Ende seltsam ratlos beiseite.