Stechlin, Brandenburg, 1890er Jahre: Der verwitwete Landadelsmann Dubslav von Stechlin wartet auf seinen Sohn Woldemar, welcher seinen und den Besuch zweier Kammeraden aus seinem Regiment durch Telegrafie ankündigte. In der Folge gibt es viele Unterhaltungen, Menschen lernen sich kennen, tauschen sich aus, vertreten ihre Meinungen."Zum Schluss stirbt ein Alter und zwei Junge heiraten sich, - das ist so ziemlich alles, was auf 500 Seiten geschieht." Mit diesen Worten beschreibt Fontane selbst die Handlung seines Werks.">>Aber der Stechlin! Was ist der Stecklin?<<>>Das ist ein See.<<>>Ein See. Das besagt nicht viel. (...) Aber was hat der Stechlin?<<>>Er hat Weltbeziehungen, vornehme, geheimnisvolle Beziehungen, und nur alles Gewöhnliche (...) hat er nicht. (...) Und wenn es in Java oder auf Island rumort oder der Geiser mal in Doppelhöhe dampft und springt, dann springt auch in unserm Stechlin ein Wasserstrahl auf, und einige (wenn es auch noch niemand gesehen hat) , einige behaupten sogar, in ganz schweren Fällen erscheine zwischen den Sprudeln ein roter Hahn und krähe hell und weckend in die Ruppiner Grafschaft hinein." (S.145)DieseSage vom Hahnim Stechlinsee ist ein brandenburgischerMythos. Wen es heute an den Stechlinsee zieht, kann sich neben einem großen roten Hahn aus Holz fotografieren und die ohrenbetäubende Ruhe der Mecklenburgischen Seenplatte in sich aufnehmen. So ruhig wie der mit 70 Metern tiefste See Brandenburgs mit seinem beeindruckend klarem Wasser ist auch der von der Rezeptionsgeschichte als Fontanes erzählerisches Hauptwerk bezeichnete Gesellschaftsroman.Die, in den Unterhaltungen, welche dem Roman seinen Grund und Boden geben, diskutierten ThemenKonservativismus vs. Sozialdemokratie und preußischer traditionalistischer Landadel vs. Großstadtökonomie lassen sich auf den GrundkonfliktAlter vs. Jugendhinunterbrechen. Der alte Stechlin vertritt dietraditionellen Werte,während sein Sohn als Vertreter der neuen Generation denFortschritt und den Aufbruchin ein modernes, technologisiertes Jahrhundert repräsentiert. Der Roman versäumt es eine befriedigende Lösung für diesen Konflikt aufzuzeigen. Einerseits fasst Fontane den Entschluss:"Nicht so ganz unbedingt mit dem Neuen. Lieber mit dem Alten, soweit es geht, und mit dem neuen nur, soweit es muss."( S.372), andererseits lässt er die Verkörperung der alten Generation zum Schluss sterben und das junge Glück triumphiert. Eine neue Generation der Stechline ist gesichert und"es lebe der Stechlin."(S.416)Die Gediegenheit des Romansentschleunigt den Rezipienten und unterhält, aber meiner Meinung nach,muss man den Stechlin nicht gelesen haben.Einen Aktualitätsbezug kann man dem Roman schlecht abgewinnen. Er beeindruckt im Hinblick auf seine kulturhistorische Einordnung in die literarische Strömung des Realismus und seiner Kraft im gesellschaftlichen Diskurs des ausgehenden 19. Jahrhunderts.Doch, wer weder Literaturwissenschaftler noch Historiker oder Stechliner ist, kann dem Roman keinen Erkenntnisgewinn entlocken.So wie sein Protagonist Dubslav erlebte auch Fontane nicht den Übergang in ein neues Jahrhundert. Er starb wenige Monate bevor sein letzter Roman in Buchform erschien. In Anbetracht der historischen Ereignisse des frühen 20. Jahrhunderts vielleicht kein schlechtes Schicksal. Wer weiß, was Fontane dann geschrieben hätte.DER STECHLIN| Theodor Fontane| Fischer Taschenbuch| Fischer Klassik| 2008| 429 Seiten| 8,50€