Mein Hör-Eindruck:
Der irische Autor Garrett Carr nimmt uns mit in seine irische Heimat, ein Fischerdorf im County Donegal. Er beschwört die intakte Dorfgemeinschaft, in der die Menschen sich gegenseitig unterstützen. Für dieses starke Gemeinschaftsgefühl findet er einen originellen sprachlichen Ausdruck: er wählt die Wir-Perspektive. Damit kommt er zwar immer wieder an die Grenzen dieser Perspektive, wenn es um das Innenleben seiner Figuren geht, aber auf der anderen Seite wird jede Person damit Teil eines gewachsenen Geflechts aus Herkommen und Sitte.
Die Idylle ist jedoch nur vordergründig eine Idylle. Die Fischer leiden unter der zunehmenden Technisierung des Fischfangs, die große finanzielle Investitionen voraussetzt. Dazu kommen die Quotenregelung durch die EU, die schwindenden Fischgründe und damit zusammenhängend der tägliche Kampf gegen die Verarmung, die vor allem die Jugend zur Arbeit nach England treibt.
Carr zeigt das alles am Leben der Fischerfamilie Bonnar und startet mit einem merkwürdigen Ereignis: ein Neugeborenes strandet in einem Ölfass, ähnlich wie Moses in seinem Schilfkörbchen. Das Dorf betrachtet das Kind als Geschenk aus dem Meer und schöpft Hoffnung auf bessere Zeiten. Bonnars adoptieren den Jungen, und nun entwickelt sich das alte Motiv der feindlichen Brüder, das in wechselnden Variationen durchgespielt wird. Das Motiv wird gedoppelt, da auch das Verhältnis der Mutter zu ihrer Schwester kompliziert ist, v. a. da die Geldforderungen der Schwester den Abstieg der Familie forcieren. Mir hätte es besser gefallen, wenn das Verhältnis von Aggressivität und Duldung besser auf beide Geschwister verteilt worden wäre. Die familiäre Harmonie am Schluss rundet den Roman zwar ab, aber bleibt unmotiviert.
Sehr schön fand ich die Beschreibungen des Meeres und der Fangfahrten, v. a. einer gefährlichen Havarie. Diese Beschreibungen sind plastisch und eindringlich und versöhnen mit inhaltlichen Unschärfen. Dazu trägt auch der Sprecher Richard Barenberg mit seiner modulationsstarken Stimme bei.
Insgesamt ein bemerkenswertes Debut, das neugierig macht auf den nächsten Roman!
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