Wie blickt man auf das eigene Leben und wie sehen es dagegen andere? Und was bleibt am Ende übrig, wenn man sich erinnert? Das sind die zentralen Fragen im Roman Sonnenaufgang Nr. 5. Denn alles beginnt, als der junge Autor Jonas in einen kleinen Ort am Meer reist, um die Biografie der altgewordenen Filmdiva Stelle Dor zu schreiben.
Jonas will es seinem Vater nach seinem Literaturstudium beweisen, um nicht in dessen Restaurant arbeiten zu müssen und um sich nicht einzugestehen, dass er es nicht geschafft hat. Da kommt also der Auftrag als Ghostwriter für Stella Dors Biografie gerade recht. Nur leider macht es ihm Stella nicht gerade leicht. Denn sie ist alles andere als nahbar oder zugänglich. Stattdessen teilt sie mit Jonas hunderte von Erinnerungen, die in keiner Reihenfolge stehen und die sie jahrelang auf hunderten von Zetteln überall im Haus an den unmöglichsten Stellen aufgehoben hat, um die wichtigsten Erlebnisse nicht zu vergessen. Dennoch kommt er mit dem Schreiben voran und lernt in seinen freien Stunden so manchen kauzigen Dorfbewohner kennen, die mit ihm ebenfalls interessante Erinnerungen aus ihrem Leben teilen. Und zwischen alledem beginnt Jonas eine ganz andere Sicht auf Stellas Erzählungen aber auch auf sein eigenes Leben zu bekommen.
Erste einmal muss ich sagen, dass Carsten Henn schon fast poetisch schreibt. Es ist eine Freude es zu lesen oder, in meinem Fall, zuzuhören. An mancher Stelle fand ich die Ausdrücke so schön, dass ich sie mir am liebsten aufgeschrieben hätte. So hat mich schon der Schreibstil berührt.
Noch mehr gepackt haben mich aber die Begegnungen, die Jonas macht. Zum Beispiel trifft er auf eine alte Frau, die jeden Tag an einer Bushaltestelle der Ansage lauscht, weil sie ihr verstorbenen Mann vor Jahren eingesprochen hat. Oder die mit den weiteren Dorfbewohnern. Sie lehren den Wert von Erinnerungen und wie unterschiedlich doch der Rückblick auf ein Leben sein kann. Natürlich stellt sich anhand von Stellas Leben auch die Frage, wie sehr man die Vergangenheit im Rückblick beschönigen kann und wie unterschiedlich zwei Personen die gleichen Situationen in Erinnerung behalten haben.
In all das ist die persönliche Geschichte von Jonas, seinem Vater, seiner verstorbenen Mutter und eine Liebesgeschichte mit Nessa eingewoben. Ich konnte gar nicht mehr aufhören, weiterzuhören, weil ich so sehr in der Geschichte war und mich gleichzeitig die Botschaft über den Wert von Erinnerungen so sehr berührt haben. Für mich definitiv ein Highlight aus 2025!