
Besprechung vom 28.09.2025
Körper, Sprache, Texte, Glück
"Hundesohn" heißt das wunderbare Debüt des Berliner Lyrikers Ozan Zakariya Keskinkiliç: Ein Liebesroman von einem muslimischen Mann, der andere Männer begehrt und nach seinem Platz zwischen den Welten sucht.
Sein Name ist Zakariya. Er lebt in Berlin, und er liebt Männer. Sein Großvater stammt aus Syrien, Zakariya lebt in Kreuzberg, es ist heute, die Gegenwart von Grindr und Insta, die Sommer von früher aber hat er mit der Familie bei den Cousins in Adana in der Türkei verbracht. Sie kamen mit den Produkten und Gerüchen der Bundesrepublik angereist, für ein paar Wochen, danach verließ Zakariya die Türkei in Richtung Kreuzberg mit den Gerüchen von Adana - und von Hassan, den er bald wiedersehen wird, vielleicht. "Mein Name ist Zakariya", sagt Zakariya, immer wieder, das ist das Leitmotiv seiner Lebenserzählung, seiner Selbstvergewisserung, eine Beschwörungsformel: Es gibt mich. Auch wenn ich mich selbst immer wieder daran erinnern und zusammenbauen muss. Weil die Kräfte, die auf mich wirken und an mir zerren, auf einen schwulen muslimischen Mann in der Bundesrepublik und in der Türkei, meine Identität und meinen Körper zu zerreißen drohen. Der Vorname, den Zakariya trägt, ist uralt, aus biblischen Zeiten, stammt aus dem Arabischen und bedeutet so viel wie: erinnern, erwähnen, gedenken.
Sein Name ist Ozan Zakariya Keskinkiliç, und er hat einen Liebesroman geschrieben. Dessen Erzähler also den Vornamen seines Autors trägt, Zakariya, genannt Zeko. "Hundesohn" ist das Prosadebüt des Berliner Lyrikers und Politikwissenschaftlers, ein dichter, trotzdem leichter Text, aus dem man auf jeder der zweihundert Seiten den Lyriker wie den Wissenschaftler gleichermaßen heraushört: weil Keskinkiliç es gelingt, als Lyriker in Bildern zu erzählen und dabei Diskurse aufzurufen, die ihn als Politikwissenschaftler beschäftigen: Fremdwahrnehmung, Selbstwahrnehmung, Zuschreibungen, Traditionen, Familie, Mehrsprachigkeit, der Friede in der Welt, der politische Hass zwischen den Körpern.
Das sind die Kulissen dieser Geschichte von einem jungen und unglücklich verliebten Mann. Sich auf diesen Text dann aber einzulassen, heißt, von Sex zu lesen, sehr viel Sex, oral, anal, von Gerüchen zu lesen, Haaren, Schweiß, Läusen, Infektionen und auch immer wieder den Text zu unterbrechen, um Wörter nachzuschlagen, denn in großer Selbstverständlichkeit schreibt Ozan Zakariya Keskinkiliç türkische Sätze in seinen Roman hinein, und nicht alle übersetzt er Wort für Wort. Und er tut das, wie um zu markieren, dass es bislang völlig selbstverständlich gewesen ist, englischen Slang in einen deutschen Text einzustreuen, aber nicht die Worte deiner Nachbarinnen und Nachbarn, deutscher Leser.
"Manchmal kommt es mir so vor, als würde das Türkische nicht mit meinen Gliedmaßen mithalten können", sagt Zeko einmal. "Die Arme sind gewachsen, die Beine, die Finger, nur meine Zunge ist die eines zwölfjährigen Kindes geblieben, sie füllt meinen Mund nicht mehr aus, sie versinkt im Speichelfluss, und ich kriege kaum Luft." In Adana lachen die anderen über Zekos Akzent, in Deutschland gehört er zu den "Gastarbeiterenkelkindern", er ist angekommen und kommt doch niemals an, er spricht beide Sprachen und steckt doch immer irgendwie dazwischen, zieht sich selbst in Zweifel, ein junger Muslim, der mit Männern schlafen will, kann es das geben? Ein junger Muslim, der den einen liebt, den Ersten, mit dem er es probiert hatte, mit dem es anfing, Hassan aus Adana.
Vielleicht begehrt er ihn aber auch nur, weil er eine Erinnerung ist, vielleicht sucht er in ihm auch nur die Antwort auf die eigene Unruhe, die Erlösung von dem Bösen, der Scham und den Selbstzweifeln. "Ich bin eine wandernde Lüge", sagt Zakariya, und Hassan ist die "Wahrheit", aber das ist natürlich nicht die ganze Wahrheit, und so begleitet man, lesend, diesen verzweifelten, freien, aber seinen eigenen Freiheiten nie trauenden Zakariya durch seine Tage und seine Nächte und die Betten seiner Grindr-Dates. Und da ist auch Pari, seine beste Freundin, die ihn berät, anstachelt, auffängt, seine Vertraute, sein Textkommentar. Zakariya hat auch noch einen anderen Begleiter, Kafka, den er liest, dessen Figuren er sich überstreift, den "Landvermesser" zum Beispiel - als könnten auch diese erfundenen Figuren eine Antwort auf die sehr realen Probleme eines jungen Mannes sein, der nicht heterosexuell ist, weiß, alman.
Vor zwei Jahren hatte Ozan Zakariya Keskinkiliç einen Beitrag im Anthologie-Projekt "Oh Boy" beigesteuert, das versuchte, in vielen Stimmen "Männlichkeit*en heute" zur Sprache zu bringen, so lautete der Untertitel. Eine dieser Stimmen hatte dem Herausgeber Valentin Moritz gehört, der in einem selbstanklägerisch angelegten Text die wahre Geschichte eines sexuellen Übergriffs nacherzählt hatte, gegen den vorab erklärten Willen der betroffenen Frau, die sich in dieser Geschichte wiedererkennen konnte - der Kanon-Verlag lieferte das Buch nach quälendem Hin und Her nicht mehr aus und entschuldigte sich bei der Betroffenen. Am Ende hatte dieser beschämende Vorgang auch die anderen Texte in der Anthologie beschädigt. Wie den starken von Ozan Zakariya Keskinkiliç.
"Er war mein Hans Hansen und ich sein Tonio Kröger", hatte er diesen Text genannt. Und er erzählte darin, motivisch ähnlich wie jetzt im Romandebüt, von einem Jungen, der einen Mitschüler begehrt, der ihn wiederum aber beschimpft und zugleich auch zu begehren scheint. Und während all das geschieht, tritt der Junge, denn er geht ja noch zur Schule, in einen Dialog mit Thomas Manns berühmter Novelle vom jungen Tonio Kröger, der Hans Hansen begehrt. In diesem Tonio erkennt er einen Jungen mit Migrationshintergrund, wie er selbst einer ist, wie auch Thomas Mann einer gewesen war. Seine Lehrerin aber will von alledem nichts wissen. Jahre später schaut der zum Mann gewordenen Junge auf diese Episode zurück, wiederlesend in Manns Novelle: "Ich fühle mich betrogen. Dass all diese Zeichen, das Gefühl der Entfremdung, der bittere Wunsch nach Zugehörigkeit und Intimität, die schier unüberbrückbaren Gräben und Hierarchien zwischen Körpern, Herkünften und 'Rassen', der Unterschied in Namen und Zungen, in meinem Deutschunterricht keine Erwähnung fanden, war und ist noch immer ein Schlag ins Gesicht."
Das Gefühl der Entfremdung, der bittere Wunsch nach Zugehörigkeit und Intimität, die schier unüberbrückbaren Gräben und Hierarchien zwischen Körpern und Herkünften, der Unterschied in Namen und Zungen: Keskinkiliç hatte da schon die Motive seines Romans durchbuchstabiert. Der Junge von damals könnte Zeko aus "Hundesohn" sein, der zwischen den Körpern, Sprachen und Texten nach sich selbst sucht.
Seine Antwort darauf, worin Erlösung liegen könnte, findet Zeko im Titel der berühmtesten Erzählung von Kafka: "Die Verwandlung". Nie zu sein, immer nur zu werden, Fluch und Freiheit zugleich, permanente Bewegung, Unruhe, Selbstbestimmung. "Sich verwandeln heißt werden, was du immer schon warst", sagt Zeko. "Hundesohn" ist ein sinnlicher, unter Hochspannung stehender, kluger Roman über Liebe heute, für jeden Moment des Haderns zwei der Scham und drei des Trotzes, aber dann doch, immer wieder, ist da eine Art Glück, und viel mehr kann man sich doch kaum wünschen. TOBIAS RÜTHER
Ozan Zakariya Keskinkiliç, "Hundesohn". Roman. Suhrkamp Verlag, 219 Seiten
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