
Leseempfehlung von Barack Obama: »Dieses Buch ist Pflichtlektüre für alle, die fortschrittlich denken und etwas über einen politischen Entwurf erfahren wollen, wie der Staat reformiert werden müsste, um der arbeitenden Bevölkerung wieder neu dienen zu können. «
Die globale Geschichte des 21. Jahrhunderts ist eine Geschichte der Knappheit, ganz gleich, ob es um Wohnungen geht, um Arbeitskräfte, um Technologien oder um saubere Energie. Dabei hat sich die gegenwärtige Krise in den Industriestaaten seit Jahren angebahnt - weil wir eine Politik des Verzichts geübt haben und nicht innovativ genug waren.
Ezra Klein und Derek Thompson zeigen, wie wir die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Hindernisse für den Fortschritt überwinden, wie wir Systeme und Institutionen für den Aufbau schaffen und so zu einem neuen Wohlstand gelangen. Ein Wohlstand, der nicht gleichbedeutend ist mit dem Reichtum weniger, sondern mit einer besseren Zukunft für möglichst viele Menschen.
Inhaltsverzeichnis
Besprechung vom 06.10.2025
Selbstzweifel der US-Demokraten
Amerikas Linksliberale debattieren Versäumnisse
Ihre Sympathie gelte eigentlich den Linken, schreiben die beiden US-Autoren Ezra Klein und Derek Thomson in ihrem Buch "Der neue Wohlstand", das in Amerika unter dem Originaltitel "Abundance" (Überfluss) wochenlang ganz oben auf den Bestsellerlisten stand. "In diesem Buch nehmen wir jedoch vor allem die Pathologien der breiteren Linken in den Blick", heißt es zu Beginn ihres Buchs. An Donald Trumps Aufstieg tragen die Demokraten in Amerika eine Mitschuld, sind beide überzeugt. Klein ist Journalist der "New York Times", Thompson Redakteur beim Magazin "The Atlantic". Gute Politik brauche "mehr als die Umverteilung dessen, was schon da ist".
Hart gehen die Autoren vor allem mit jenen Linken ins Gericht, die Wachstum als Sünde anprangern: "Wir werden den Klimawandel nicht zurückdrehen, indem wir die Welt dazu bringen, auf Wachstum zu verzichten." Das Pochen auf Wachstumsverzicht sei kontraproduktiv und letztlich eine Sackgasse. Ihm liege ein falsches Verständnis von Wirtschaftswachstum zugrunde: Wachstum entstehe nicht durch die Anhäufung des immer Gleichen: "Der Unterschied zwischen einer Wirtschaft, die wächst, und einer Volkswirtschaft, die stagniert, liegt im Wandel." Doch ein großer Teil der heutigen Linken hätten den Technikoptimismus verloren und predige stattdessen Verzicht. Das müsse sich ändern.
Das Buch hat eine Debatte unter amerikanischen Linksliberalen ausgelöst. Gavin Newson, der Gouverneur von Kalifornien, lobt es als "fundamental für die Zukunft". Dabei wird im Buch gerade das von ihm regierte Kalifornien mehrfach als Negativbeispiel genannt. Klein und Thompson verweisen auf den geplanten Hochgeschwindigkeitszug zwischen Los Angeles und San Francisco, der seit Jahrzehnten geplant wird, aber einfach nicht gebaut wird, obwohl die Mehrheit der Kalifornier dafür ist und das Projekt auch sonst machtvolle Fürsprecher hat. Der Bundesstaat scheitert aber an der Umsetzung, weil das Projekt mit viel zu vielen Zielen überfrachtet wird. Großprojekte misslingen nicht wegen technischer Probleme, sondern an politischen Hindernissen: Hinter jeder Ecke lauerten mittlerweile Rechtsstreitigkeiten. Ähnlich sei es im Wohnungsbau. Obwohl dringend Wohnraum benötigt wird, schafft es Kalifornien einfach nicht, preiswert und schnell zu bauen. Das sei unter den Regeln und Beschränkungen, die Linksliberale dort etabliert hätten, schlicht nicht möglich. Die Folge: hohe Obdachlosigkeit gerade in demokratisch regierten Städten. Der amerikanische Traum sei von einer weit verbreiteten Wirklichkeit zur reinen Glücksache geworden.
Geschrieben ist das Buch mit Blick auf Amerika, vieles ist aber auch auf Deutschland übertragbar. Wenn die Ko-Autoren sich etwa darüber beklagen, dass es so viele grundlegende Technologien gäbe, die zwar Amerikaner erfunden hätten, aber heute anderswo wirtschaftliche Erfolge feierten, werden sich viele Deutsche fragen: Geht es uns nicht auch so? Das Buch liest sich leicht, manche Gedankengänge hätte man aber straffen können. In vielem folgen die beiden den Ideen, die der amerikanische Ökonom Mancur Olson schon 1982 in seinem Buch über den Aufstieg und Niedergang von Nationen formuliert hat: dass wohlhabende Demokratien in Friedenszeiten mit der Zeit so viele gut gemeinte Regeln entwickeln, dass sie am Ende träge werden und kaum mehr was hinbekommen. TILLMANN NEUSCHELER
Ezra Klein und Derek Thompson: Der neue Wohlstand: Was wir für eine bessere Zukunft tun müssen, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2025, 368 Seiten
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.