Evie Woods überrascht mich jedes Mal aufs Neue. Kaum beginnt man zu lesen, merkt man, dass ihre Geschichten nie geradlinig sind. Man glaubt zu wissen, wohin die Reise geht, doch am Ende fügt sich alles auf ganz andere, oft magische Weise zusammen. Ihre Erzählkunst macht es unmöglich, das Buch aus der Hand zu legen, weil sich hinter jeder Ecke neue Wendungen und unerwartete Begegnungen verbergen.
In ihrem Roman Die Geschichtensammlerin verbindet sie irische Sagen mit menschlichen Schicksalen auf beeindruckende Weise. Nach einer Trennung reist Sarah planlos nach Irland und landet in einem kleinen Cottage, das Oran gehört. Dort entdeckt sie ein altes Tagebuch, versteckt in einem Baum, geschrieben im Jahr 1910 von der jungen Irin Anna. Sie berichtet von ihrer Begegnung mit Harold, einem Amerikaner, der nach Irland kam, um die Geschichten des Guten Volks, also der Feen und der Anderswelt, zu sammeln. Gleichzeitig lernt Sarah Oran und seine Tochter Hazel näher kennen, die jeweils ganz unterschiedliche Ansichten zu diesen alten Sagen haben.
Evie Woods gelingt es, diese beiden Zeitstränge geschickt miteinander zu verweben, bis sich die Geschichten von Sarah und Anna auf berührende, aber indirekte Weise begegnen. Dabei geht es nicht nur um Liebe und Romantik, sondern auch um tiefgehende, komplexe Themen, die das Leben vieler Menschen prägen: sexuelle Belästigung, Todgeburten, Mordverdacht, Verlust, Angst und der schwierige Weg, sich selbst wiederzufinden. Die Autorin behandelt diese schweren Themen mit so viel Einfühlungsvermögen, dass sie nie bedrückend wirken, sondern stets nachvollziehbar und berührend bleiben.
Der Schreibstil von Evie Woods ist dabei federleicht und gleichzeitig intensiv. Man hat das Gefühl, über Zuckerwattewolken zu laufen: sanft, weich und doch voller Gefühl. Jede Szene, jede Begegnung ist so lebendig beschrieben, dass man die irische Landschaft, die kleinen Details des Cottages und die Magie der Anderswelt direkt vor Augen hat. Das Buch zeigt auf wunderschöne Weise, dass Schmerz und Hoffnung oft nah beieinanderliegen und dass selbst in den dunkelsten Kapiteln des Lebens ein Hauch von Magie verborgen ist.