Als ichThe Atlas Sixvon Olivie Blake zur Hand nahm, war ich sofort von der vielversprechenden Prämisse begeistert: Eine exklusive Gruppe talentierter Magier*innen wird rekrutiert, um Zugang zu einer geheimen Bibliothek zu erhalten, die das gesamte Wissen der Menschheit birgt. Mit dieser Ausgangslage und den Figuren hatte das Buch das Potenzial, ein Highlight zu werden. Und obwohl es für mich nicht in jeder Hinsicht überzeugend war, gibt es vieles, das mir gefallen hat - und manches, das nicht ganz meinen Erwartungen entsprach.Zunächst einmal ist Blakes Schreibstil etwas, das man lieben oder hassen kann. Ihre Sprache ist eher blumig, versucht oft philosophisch zu sein und verlangt eine gewisse Aufmerksamkeit. Anfangs hatte ich Schwierigkeiten, mich darauf einzulassen, da es manchmal den Eindruck erweckt, komplizierter zu sein, als es nötig wäre. Blake versteht es allerdings, Stimmungen und Eindrücke lebendig zu machen und die geheimnisvolle, fast düstere Welt des Buches hatte mich schnell in ihrem Bann gezogen, auch wenn vieles davon nicht besonders innovativ wirkt. The Atlas Six bedient sich klarer Elemente des Dark-Academia-Genres: eine exklusive Geheimgesellschaft, ein akademisches Umfeld, das von Geheimnissen und Intrigen durchzogen ist, sowie ein altmodisch anmutendes, fast schon stereotyp englisches Setting. Während das zunächst sehr ansprechend war - schließlich passt diese Ästhetik perfekt zu der mysteriösen Stimmung des Buches - hatte ich manchmal das Gefühl, dass diese Elemente eher oberflächlich bleiben. Es wird viel mit bekannten Tropen gespielt, ohne sie wirklich zu hinterfragen oder neu zu interpretieren. Das ist zwar nicht unbedingt schlecht, lässt das Buch aber weniger originell wirken, als es sein könnte. Dennoch: Für Fans dieses Genres, die genau diese vertrauten Elemente lieben, dürfte es den richtigen Nerv treffen.Ein großer Pluspunkt des Buches sind die Charaktere - zumindest in Ansätzen. Die sechs Hauptfiguren tragen alle ihre eigenen dunklen Geheimnisse und Ambitionen mit sich und es fiel mir sehr leicht alle von Anfang an zu unterscheiden und ein grobes Bild von ihnen im Kopf zu haben. Besonders reizvoll fand ich die Dynamik zwischen ihnen: Ihre Beziehungen sind voller Spannung, Misstrauen und unausgesprochener Machtspiele. Allerdings wirkte es manchmal so, als würde Blake zu sehr versuchen, sie als "komplex" darzustellen, ohne ihre Motivationen immer vollständig greifbar zu machen. Das führte dazu, dass einige Figuren für mich weniger authentisch wirkten, als sie hätten sein können. Stellenweise fühlte sich vieles zu gewollt an. Dennoch - die Grundidee, dass sie alle moralisch zweifelhaft sind und niemandem wirklich zu trauen ist, fand ich erfrischend und interessant.Die Handlung ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits gibt es viele spannende Ideen und Wendungen, die mich überrascht haben. Die philosophischen und moralischen Fragen, die Blake aufwirft - wie Wissen genutzt oder missbraucht werden kann - fand ich spannend und tiefgründig, teilweise aber auch wieder sehr generisch. Andererseits fühlte sich die Geschichte auch manchmal etwas träge an. Statt klarer Fortschritte oder Höhepunkte gab es Abschnitte, die sich mehr wie lange Dialoge oder Reflexionen anfühlten und das bremste die Handlung aus. Doch auch hier hängt es stark von den eigenen Vorlieben ab: Wer gerne tief in die Köpfe der Figuren eintaucht und sich Zeit für Gedankenspiele nimmt, wird diesen Stil vermutlich genießen.Die Dialoge zwischen den Figuren sind ein weiterer Aspekt, der mich zwiegespalten zurückgelassen hat. Einerseits zeigt sich in den Gesprächen deutlich, wie intelligent und manipulierend die Charaktere sind - jeder Satz scheint mit Bedacht gewählt, oft voller Doppeldeutigkeiten und unterschwelliger Spannungen. Andererseits wirken die Dialoge manchmal übermäßig konstruiert und fast unnatürlich, als wolle Blake die Brillanz ihrer Figuren ständig betonen. Dies führte dazu, dass die Gespräche oft mehr wie philosophische Debatten oder Machtspiele wirkten als echte zwischenmenschliche Interaktionen. Das passt zwar zur elitären und geheimnisvollen Atmosphäre des Buches, machte es mir aber gelegentlich schwer, wirklich eine Verbindung zu den Figuren aufzubauen und ließ auch teilweise die Figuren unglaubwürdig wirken, die dadurch alle als unfassbar mächtig und intelligent gezeichnet wurden und deren einzige Schwäche eher in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen liegt als in eigenen Charakteren. Dennoch sind die Dialoge inhaltlich interessant und tragen dazu bei, die Dynamiken innerhalb der Gruppe greifbar zu machen, auch wenn sie nicht immer glaubwürdig/natürlich erscheinen.Das Ende schließlich hinterließ bei mir gemischte Gefühle. Einerseits war ich neugierig, wie es weitergeht und fand einige der Enthüllungen clever. Andererseits wirkte der Cliffhanger ein wenig zu abrupt, fast so, als wäre das Buch nur ein langer Prolog für die Fortsetzung. Es fehlte mir eine gewisse Abrundung, die das Buch für sich allein stärker gemacht hätte.Insgesamt würde ich The Atlas Six als ein Buch beschreiben, das polarisiert. Es ist nicht perfekt, aber es hat viele Stärken: eine faszinierende und ästhetische Welt, interessante Figuren und Themen, die zum Nachdenken anregen. Gleichzeitig ist es definitiv kein leichter oder schnelllebiger Fantasy-Roman - wer auf actionreiche Abenteuer hofft, wird vielleicht enttäuscht. Für mich war es ein Buch, welches ich trotz seiner Schwächen genießen konnte, welches mir aber vermutlich nicht langfristig im Gedächtnis bleiben wird, sollten die Fortsetzungen nicht deutlicher ihr Potenzial entfalten.