Patrick Bateman sieht gut aus, ist gut erzogen und intelligent. Tagsüber sitzt er in seinem Büro in der Wall Street und vergrößert seinen Reichtum. Seine Nächte hingegen verbringt er auf unfassbare Weise. Er ist ein Serienmörder und lebt seinen ganz eigenen amerikanischen Traum.
»Eine literarische Markierung des ausgehenden 20. Jahrhunderts. « Hubert Winkels
»American Psycho läuft drohend, grollend wie ein Unwetter an, und plötzlich schlägt der grausame Blitz ein: Die Banalität des Schrecklichen, die wir verdrängen wollen, trifft uns und zwingt uns, das Unerträgliche wahrzunehmen: die Oberflächlichkeit, die Brutalität, mit der wir uns abfinden. In einer Medienwelt, die jedes Thema lächelnd in drei Minuten abhandelt--vom Holocaust über die Salatbar zum Krieg--ist dieses Buch ein Schuss ins Herz, Picassos Guernica vergleichbar. « Elke Heidenreich
Besprechung vom 03.09.2025
Wenn Fitness und Fairness sich ausschließen
Niemand ist so ritterlich, der Ich-Erzählerin beizustehen: Verena Keßlers Roman "Gym" verschenkt sein Potential
Mit dem Titel ist der Ort der Handlung schon vorweggenommen: Die Ich-Erzählerin dieses Romans, in einem früheren Leben Unternehmensberaterin, arbeitet nun in einem Gym, serviert den "High-Performern" Protein-Shakes mit Namen wie "Muscle-Hustle" oder "Pina-Cool-Downa". Das Studio trägt den Namen "MEGA GYM", und spätestens hier ist klar: Die Kultur des "Höher, schneller, weiter" soll ironisiert werden.
Bei einigen Klischeeformulierungen ist sich der Rezensent dann aber doch nicht mehr so sicher, ob das ironisch sein soll: "Hinter der Fensterfront braute sich etwas zusammen, dunkel und schwer hingen die Wolken am Himmel." Just da erblickt die Erzählerin zum ersten Mal die Bodybuilderin Vick: "Wo sich bei mir die Muskeln nur andeuteten wie schüchterne Gäste, stand bei ihr jeder einzelne selbstbewusst für sich." Ihr wird sie nacheifern, sich in einen Konkurrenzkampf hineinsteigern. Vick erwidert den Blick: "Und in diesem Moment, das schwöre ich, erhellte ein greller Blitz das MEGA GYM."
Soll die "düstere" Seite des Fitnesswahns, die sich hier zum ersten Mal schüchtern andeutet, gleich wieder ironisiert werden? In einer Parodie der Parodie? Unwahrscheinlich. Und selbst wenn, so wäre es fraglich, ob dann nicht das (ohnehin kaum genutzte) subversive Potential der Geschichte ins Affirmative gewendet würde.
So abgedroschen wie die Metaphern ist auch die Thematik: Die Parallelen zwischen Körperkult und Kapitalismus, Konkurrenz und Optimierung sind altbekannt. Schon Patrick Bateman, der Wall-Street-Banker aus Bret Easton Ellis' stilbildendem Roman "American Psycho" (1991), geht ins Gym: "Bevor ich mich an die Free Weights mache, steige ich zwanzig Minuten aufs Trimmrad und lese währenddessen die neue Ausgabe von Money." Gym und Geld, das hing also schon in den Achtzigern ganz eng zusammen. Und bereits der Sportunterricht der britischen Eliteschulen, so der Soziologe Pierre Bourdieu, hatte seinen Zweck in der Formung der zukünftigen Unternehmenschefs: eine "Schule des Charakters", in der neben Mut und Männlichkeit der "Wille zum Siegen" ausgebildet wurde, "Merkmal des wahren Führers".
Warum nun gerade jetzt wieder ein Buch zu diesem Thema? Vielleicht findet sich bei Ellis eine Antwort. Was laut seinem Buch "die Frauen" wollen? Einen "hardbody", der sie mit Donald Trump (der also damals schon eine literaturwürdige Größe war) bekannt macht. Heute hat dieser "Körperpanzer" wieder Konjunktur. Und bei Keßler wird im Aerobic-Kurs "marschiert". Aber in "American Psycho" waren die Gym-Szenen rar, gezielt platziert. Anders bei Keßler. "Three sets of fifteen repetitions", heißt es bei Ellis, in "Gym" liest man "3x15" - eine Verneigung vor dem Vorläufer?
Keßlers Roman besteht aus drei "Sätzen"; und so, wie der Beat durch das Gym dröhnt, wird auch der Text durch Absätze und Pünktchen staccatohaft in Häppchen unterteilt. Die Autorin hat sich für leichte Kost entschieden, das gibt sie auf Youtube in einem Reklamevideo fürs neue Buch auch offen zu: "Es hat unter 200 Seiten, ist also gar kein großer Aufwand." An die konsequente Monotonie der ellisschen Prosa mit ihren ausschweifend- erschöpfenden Aufzählungen kommt der deutsche Roman nicht heran.
Ein weiterer gewichtiger Unterschied: Die Erzählstimme ist hier die einer Frau. Sexismus und Missbrauch in der Unternehmenswelt, bei Ellis aus Sicht des Frauenmörders Bateman geschildert, wird hier aus der Perspektive eines Opfers erzählt. Doch das trainiert sich einen Körperpanzer an, erst im übertragenen, dann im wörtlichen Sinne: "Manchmal glaubte ich, selbst innen würde sich alles verhärten, als würden meine Organe zu Stein werden, als käme bald alles zum Erliegen (. . .) Mein Gesicht war insgesamt breiter, kantiger, härter." Das Äußere der Ich-Erzählerin wird jenem der Konkurrentin Vick immer ähnlicher. Ihre Kollegin findet das nicht so sexy: "Das sieht ja gar nicht mehr weiblich aus." Doch die Erzählerin erwidert: "Ich glaube, darum geht es gar nicht." Wovon handelt das Buch also dann? "Hier ging es nicht um Schönheit, nicht um Sex, nicht darum, was irgendjemand von ihr dachte oder wollte (. . .) Was Vick da machte, war, sich selbst zu erschaffen. Ein Selbst, das sich so sehr abhob, so sehr für sich stand, so unumstößlich da war in der Welt, dass jede Meinung dazu, jede Wertung, jedes Begehren einfach daran abprallen musste." Ein "Habitus der Kälte".
Um den Job im MEGA GYM zu kriegen, muss die Erzählerin dann auch beweisen, dass sie den Lifestyle "verkörpern" kann. Doch sie hat den wahren Sportsgeist nicht verinnerlicht: Es geht, so Bourdieu, zwar um "einen 'Willen zum Siegen'", jedoch "gemäß vorgegebener Regeln, eben des fair play, jene gleichsam ritterliche Einstellung, die in der 'vulgären' Verbissenheit des Siegens um jeden Preis ihren diametralen Gegensatz" habe. Während ihre Konkurrentinnen in der Business- und Fitness-Welt den Habitus der Elite verinnerlicht haben - "elegant, lässig" -, hat die Erzählerin Armut und Depression von Kind auf erlebt. Hierher rührt ihr Ehrgeiz, ihr Erfolg, aber auch ihr Scheitern. Sie kommt im Gegensatz zu Patrick Bateman von unten, und nachdem sie es beinahe bis ganz oben geschafft hat, muss sie genau dort wieder anfangen.
In der Klassenfrage steckt das ungenutzte Potential des Buchs: Am Ende wünscht sich die Protagonistin, sie hätte sich von Anfang an mit weniger zufriedengegeben. Gewiss, die These vom "kannibalischen Kapitalismus" wurde auch in "American Psycho" sehr wörtlich genommen, aber dort wenigstens konsequent umgesetzt. Auch Keßlers Protagonistin beißt sich durch, doch was bei Ellis Hirnmasse war, sind hier nur rohes Hack und Ohrläppchen. JAKOB BALLHAUSEN
Verena Keßler:
"Gym". Roman.
Hanser Berlin Verlag,
Berlin 2025.
192 S., geb.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.