Besprechung vom 07.10.2025
Khamenei ließ sich nicht kontrollieren
Ali Sadrzadeh schildert aufschlussreich den Aufstieg des iranischen Führers, bietet aber sonst wenig Biographisches
Der Titel des Buches klingt nach einer klassischen Biographie: "Ali Khamenei. Aufstieg und Herrschaft". Doch wer eine Abhandlung über das Leben des inzwischen 86 Jahre alten iranischen Führers erwartet, könnte enttäuscht sein. Nur ein Teil des Buches befasst sich mit der Person Khamenei. Zur Begründung schreibt der Autor Ali Sadrzadeh in der Einleitung, "Khameneis Lebensgeschichte kann man nicht authentisch und fundiert der Reihe nach nachzeichnen".
Sadrzadeh steht vor der gleichen Herausforderung, vor der auch Biographen anderer Diktatoren wie Kim Jong-un und Xi Jinping stehen. Der Zugang zu den Porträtierten ist einem engen Kreis an Loyalisten vorbehalten. Viele Details ihres Lebens sind entweder geheim, propagandistisch überhöht oder von Feinden als Desinformation gestreut. Trotzdem hätte man sich unter diesem Titel mehr Einblicke von Leuten erhofft, die Khamenei getroffen oder ihn ein Stück weit begleitet haben.
Sadrzadeh beschreibt seinen Ansatz so: Er wolle Khamenei "entlang der turbulenten Ereignisse der letzten 45 Jahre begleiten". Das gelingt ihm mal mehr, mal weniger. Neben eher biographischen Kapiteln gibt es auch solche, die sich mit Irans Beziehungen zu Deutschland, Israel und Russland befassen. Der 1945 in Iran geborene Autor kam 1970 zum Studium nach Deutschland. Er arbeitete als Journalist für die "Frankfurter Rundschau", die Deutsche Presse-Agentur und den Hessischen Rundfunk. Auch für die F.A.Z. hat er zahlreiche Texte verfasst. In seine Ausführungen lässt Sadrzadeh Anekdoten über persönliche Begegnungen einfließen, die das Buch bereichern. Das gilt etwa für ein Gespräch mit dem Dichter Mehdi Akhawan Sales, den Khamenei vergeblich versuchte zu vereinnahmen und dann für dessen Weigerung abstrafte. Bisweilen verliert der Autor den roten Faden, etwa in Exkursen über die deutsche Iranpolitik.
Aufschlussreich ist das Kapitel über die Umstände, unter denen Khamenei zum Obersten Führer aufstieg. Auch für Iran-Belesene birgt es interessante Details, auch wenn die Grundzüge oft beschrieben wurden: Khamenei war für das Amt eigentlich nicht qualifiziert und kam nur dank dem damaligen Parlamentssprecher Ali Akbar Haschemi Rafsandschani an die Macht, der ihn für schwach und kontrollierbar hielt. Diese Fehleinschätzung bezahlte Rafsandschani mit der eigenen Entmachtung. Er blieb nicht der einzige Weggefährte, den Khamenei an den Rand drängte, wie das Buch zeigt.
Hilfreich sind Sadrzadehs Ausführungen zu Khameneis Interesse an der Dichtkunst und zu dem Einfluss, den der radikale Islamist und Attentäter Nawwab Safawi auf sein Denken hatte. Der Autor geht auch auf die Rolle der schiitischen Geistlichkeit ein, die viele politische Iran-Autoren aussparen.
Wenig überzeugend sind dagegen Sadrzadehs Ausführungen zu Irans Beziehungen zur Sowjetunion und später zu Russland. So scheint er ohne Belege zu insinuieren, dass die Erstürmung der amerikanischen Botschaft im Jahr 1979 und die Geiselnahme der Diplomaten im Auftrag Moskaus geschehen seien. An anderer Stelle schreibt er, Khamenei habe den russischen Präsidenten Wladimir Putin "möglicherweise (als) seinen Beschützer" auserkoren. Weiter behauptet er: "Eine grundsätzliche Veränderung der Machtverhältnisse in Teheran ist ohne eine ebensolche in Moskau kaum denkbar."
In der bedeutenden Frage, warum die Feindschaft mit Israel ein Grundpfeiler der Islamischen Republik ist, konzentriert sich Sadrzadeh auf die antizionistische Ideologie des Regimes und seiner Vordenker. Der Kampf gegen Israel sei Khameneis "Lebensmission", glaubt er. Sadrzadeh hat recht, wenn er schreibt, dass Irans antiisraelische Rhetorik nicht als reine Propaganda abgetan werden könne. Allerdings blendet er die militärstrategische und machtpolitische Dimension des Konflikts mit Israel weitgehend aus und greift damit zu kurz. Für ein Buch, das laut Titel von der Herrschaft Khameneis handelt, kommt außerdem die Frage zu kurz, wie sich dieser Mann 36 Jahre an der Macht halten konnte - und weiter kann.
Der Autor neigt zu steilen Thesen. So schreibt er, die Intensität, mit der Khamenei für den schiitischen Glauben werbe, übertreffe "bei weitem die Propaganda für den Marxismus-Leninismus in den kommunistischen Staaten". Und: Die Taliban, Al-Qaida und die Islamisierung der Türkei durch Präsident Erdogan seien "im Grund sunnitische Antworten, politische Gegenmodelle zur schiitischen Revolution im Iran".
Ohne solche hochtrabende Aussagen würde das Buch gut auskommen. Auch würde man sich für manche Darstellungen Quellenangaben, Belege oder den Hinweis wünschen, dass sie in der Fachwelt umstritten sind. Trotz fehlender Stringenz profitiert der Leser von einer Vielzahl interessanter Einblicke, vor allem dort, wo ihm iranische Persönlichkeiten nahegebracht werden, die nicht allgemein bekannt sind. FRIEDERIKE BÖGE
Ali Sadrzadeh: Ali Khamenei. Aufstieg und Herrschaft.
Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2025. 263 S.
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