In Pietro und Astrids Leben schlägt eines Tages die Veränderung wie ein Blitz ein und das in Gestalt von Durante. Ein Fremder, der ins Val del Poggio gekommen ist, um mit seinem Pferd ein neues Berufsleben zu beginnen. Eigentlich fragt er die beiden, die bis zu diesem Zeitpunkt in eher trister, aber durchaus zufriedener Eintönigkeit mit der Herstellung selbstgewebter Stoffe beschäftigt waren, nur nach dem Weg zu einem benachbarten Hof. Schon diese Frage aber, dieser erste Kontakt führt zu einer tiefen Verwirrung, ja zu einer ersten grundlegenden Verstörung ihres Zusammenseins, ihrer Beziehung. Durante hat eine äußerst wirkungsvolle Ausstrahlung, von der zunächst aber gar nicht klar ist, in was sie sich begründet und wie sie wirklich wirkt. Doch schon der Hund von Pietro und Astrid, der sonst immer nur bellt, lässt sich mit dieser ersten Begegnung vom Fremden nicht nur streicheln, sondern liegt ihm sogar friedlich und freundschaftlich verbunden zu Füßen.Im weiteren Fortgang der Geschichte lernt der Leser in Durante einen total freien Menschen kennen, der sich keinerlei Zwängen verpflichtet fühlt und seine bereits an vielen Stellen aufgeschlagenen Zelte einfach so, über Nacht, einer Eingebung oder was auch immer wegen. Außerdem verfolgt er eine Praxis der völligen Aufrichtigkeit, sagt immer ehrlich und ganz offen, was er denkt, was ihm in den Sinn kommt. Das führt bei allen, die ihm begegnen, zu tiefgreifenden Veränderungen, die meist darin bestehen, dass sie sich selbst besser oder überhaupt erst einmal kennenlernen und damit ihren inneren Wünschen und Zielen näherkommen. Wer aber mehr über sich erfährt, überdenkt seine bis dahin getroffenen Lebensentscheidungen und das kann, nein muss, zu Konflikten führen, in erster Linie eben mit sich selbst. Freiheit des einen hat für andere oft einen Preis, den sie nicht zu zahlen bereit sind. Andrea de Carlo zeichnet ganz wunderschöne Sprachbilder und beschreibende Beobachtungen, wie etwa vom Weben: "Weben ist eine hypnotische Tätigkeit. Du bereitest die Garne vor, lässt die Spulen im Schützen durch das Spiel von Litzen und Weberkamm sausen...Ab und zu empfindest du es als großes Privileg, eine so freie und selbstbestimmte Tätigkeit gewählt zu haben, dann wieder fühlst du dich als Sklave deines Webstuhls..."(S. 41/42) An anderer Stelle lässt er Durante Lebenseinsichten aussprechen, die natürlich auf der Hand liegen, aber in dieser Deutlichkeit zum tiefen Nachdenken anregen: "Du bist mit der Vorstellung aufgewachsen, dass jeder Leerraum mit einer beliebigen Tätigkeit ausgefüllt werden muss. Auch wenn es nur eine Reihe von Bildern oder Tönen ist. Es genügt die Leere auszufüllen, nicht wahr? Dabei spielt die Langeweile eine grundlegend wichtige Rolle. Aus Langeweile entstehen nämlich die Träume und Wünsche und alle Arten von Erfindung." (S. 319)Für mich war dies ein großartiges Leseerlebnis, das zum Teil Wut über diesen Durante ausgelöst hat, der ungefragt in andere Leben eindrigt , auf diese einwirkt und sie verändert. Muss man sich denn wirklich selbst besser kennenlernen und zu einer anderen Lebensansicht kommen, wenn doch bisher alles so schon eingefahren und eingeübt und das Leben ein langer, ruhiger Fluß war? Dann aber hat mich dieser Durante zunehmend fasziniert und ich habe mir für mein Leben auch einen solchen Menschen gewünscht, der mich allein schon durch seine Ausstrahlung dazu zwingt, mehr auf mich zu hören und meinem Wesenskern näherzukommen. Sprache und eingearbeitete Weisheiten haben mich tief berührt, ich empfand sie nicht als aufgezwungen oder gar kitschig trivial, nein, an genau diesen Stellen kamen sie immer natürlich daher, als Erkenntnisse im Augenblick:"Gibt es deiner Meinung nach auch keinen objektiven Sinn, fragte ich. Im Leben? Er schüttelte den Kopf: Den musst du für dich erfinden, den Sinn. Und immerzu neu erfinden." (S. 390/391)Und: "Schade, dass es den nicht gibt, den objektiven Standpunkt, sagte er. Dabei wäre es so beruhigend, wenn es ihn gäbe." (S. 456)