Besprechung vom 14.05.2025
Sprache als Heimat
Die neue Ausgabe der "Akzente" versammelt Beiträge von Exil-Autoren aus dem Projekt "Weiter Schreiben"
Die Exil-Erfahrung Thomas Manns ging über das Exil hinaus, wie in der oben stehenden Rezension nachzulesen ist. Seine wahre Heimat, das hatte er in Amerika immer betont, war die deutsche Sprache, nicht Deutschland. Und in ihr konnte er Zuflucht nehmen. Zugleich war er amerikanischer Staatsbürger, blieb aber Sprachfremder im neuen Land. Und das alte betrachtete ihn als Fremden, weil er gegangen war.
Die Ambivalenz vom Leben mit der eigenen Sprache in einem fremden Land ist eines der Hauptthemen in der aktuellen Ausgabe der Literaturzeitschrift "Akzente". Ihr Schwerpunktthema: Exil. Nun könnte man sagen, dass die "Akzente" selbst im Exil sind, seit der Hanser-Verlag sie nach mehr als sechzig Jahren abgab und die Zeitschrift nunmehr beim Dittrich-Verlag untergekommen ist. Auffällig ist der Rückgang prominenter Namen unter den Beiträgern, nachdem nun auch die zwischenzeitliche Praxis, für jedes Einzelheft einen bekannten Hanser-Autor zum Herausgeber zu bestimmen, ein Ende gefunden hat. Die neue Herausgeberin Marietta Thien hat aber aus der Not eine Tugend gemacht und für das Exil-Heft das Literaturportal "Weiter Schreiben" als Textlieferant gewonnen, von dessen Aktivitäten auch "Bilder und Zeiten", die samstägliche E-Paper-Beilage dieser Zeitung, bereits mehrfach profitiert hat.
"Weiter Schreiben" bietet Literatur aus Kriegs- und Krisengebieten ein Forum, deren Verfasser meistens ihre Heimat verlassen mussten. Und gleich der erste in "Akzente" aufgenommene kleine Briefwechsel (2019 geführt von der syrischen Dichterin Lina Atfah und der georgischen Schriftstellerin Nino Haratischwili, die eine mittlerweile wohnhaft in Wanne-Eickel, die andere in Berlin) bietet das verblüffende Phänomen zweier mitabgedruckter Fotos beschädigter Häuser, die die Schriftstellerinnen jeweils als Erinnerungen an ihre Heimaten aufbewahrt haben - und die sich so ähnlich sind, dass Atfah schreibt: "Warum sollte Nino mir ein Foto unseres Hauses in Salamiyya schicken?", um dann fortzufahren: "Wir teilen nicht nur einfache Details, sondern es ist ein ganzes Leben, das die Fäden zwischen uns spinnt." Diesen Gespinsten gehen die "Akzente" mit Texten von mehr als zwanzig Exil-Autoren nach, unter denen Haratischwili die hierzulande Bekannteste ist, aber lesenswert sind sie alle. Weil sie die Rettung in die Sprache (bisweilen auch die deutsche) zum Thema haben und damit die grundlegende Exil-Erfahrung. apl
"Akzente".
Zeitschrift für Literatur
Nr. 1/2025: Exil.
Hrsg. von Marietta Thien. Dittrich Verlag,
Weilerswist-Metternich 2025. 98 S., 2 Abb., br.,
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