Dieses Buch der 1933 geborenen Autorin Eveline Hasler ist bereits 1991 und 1995 erschienen und wurde nun neu aufgelegt.
»Ich habe es in Zürich erfahren: Man hält die Frauenhand für zu zart, um ein Gesetzbuch zu halten. Auch die Unterscheidung von Gut und Böse, das Urteil über Richtig und Falsch gilt seit jeher als Männersache.«
Wie schon in Anna Göldin, letzte Hexe beschäftigt sich die Autorin in Die Wachsflügelfrau mit einer Frau, die sich nicht in die Zeit eingefügt hat. Anders als Anna Göldin wird Dr. Emiliy Kempin-Spyri (1853-1901) nicht hingerichtet, muss aber ihre letzten Lebensjahre entmündigt in einer Zürcher Irrenanstalt verbringen.
Wer ist sie nun, diese Dr. Emiliy Kempin-Spyri, die erste promovierte Juristin der Schweiz, die man dennoch nicht als Anwältin arbeiten lässt?
Geboren 1853 in Altstetten als Tochter eines Pfarrers und Nicht der bekannten Kinderbuchautorin Johanna Spyri, ist sie schon als Kind klug, wissbegierig und zielstrebig. Eigentlich will sie nicht heiraten sondern studieren. Doch zunächst wird sie mit dem Pfarrer Walter Kempin verheiratet, bekommt drei Kinder und beginnt im Alter von 31 Jahren ihr Jurastudium, das sie nach zahlreichen Hindernissen abschließen kann. Allerdings darf sie nicht als Juristin arbeiten, da ihr, wie allen Frauen in der Schweiz, das Aktivrecht (= Wahlrecht) fehlt. Zahlreiche Eingaben, das Gesetz dahin gehend zu ändern, werden ua. mit der Begründung zu neu und zu kühn (!!) abgelehnt. Inzwischen ist Walter arbeitslos und Emily sorgt mit Gelegenheitsarbeiten für den Familienunterhalt. Sie müssen mehrmals umziehen und als sich die Gelegenheit ergibt nach Amerika auszuwandern, ergreift Emily gegen den Willen von Walter die Chance. Nach anfängliche Schwierigkeiten kann sie als Anwältin und Dozentin arbeiten und gründet das erste Women Law College. Nach zwei Jahren kehren sie desillusioniert wieder in die Schweiz zurück.
Als Walter dann selbst ein Jura-Studium abschließt, bekommt er sofort eine Zulassung als Anwalt, obwohl er weder Ehrgeiz noch Können aufweist. Seine Frau muss ihn mit Schriftsätzen unterstützen, darf aber selbst nicht vor Gericht erscheinen. Dass die Ehe nicht hält, ist klar.
Letztlich wird die unermüdlich für Frauenrechte kämpfende Emiliy Kempin-Spyri, die so überhaupt nicht ins System passt, für geisteskrank erklärt und entmündigt. Sie verbringt ihre letzten Lebensjahre von der Außenwelt und ihrer Familie abgeschnitten in einer Irrenanstalt. Emiliy Kempin-Spyri stirbt 1901 an Unterleibskrebs.
Meine Meinung:
Autorin Eveline Hasler nimmt sich grundsätzlich interessanter Themen und Frauengestalten an. Man erinnere sich, erst 1971 hat die Schweiz den Frauen die vollen Bürgerrecht und damit das Wahlrecht eingeräumt.
Der Schreibstil passt zum Alter der Autorin sowie zum Zeitalter, in dem Dr. Emiliy Kempin-Spyri gelebt hat. Ich kenne die früheren Ausgaben des Buches nicht und kann daher nicht sagen, ob das Stilmittel, in der direkten Rede auf die Redezeichen zu verzichten 1991 bzw. 1995 auch schon verwendet worden ist.
Interessant, dass es nur wenige authentische Quellen über Emiliy Kempin-Spyri gibt, so als wollte man die Erinnerung an eine unbequeme Frau auslöschen. Nicht einmal ihre Krankengeschichte ist in den Archiven erhalten. Wer die Einweisung und Entmündigung betrieben hat, bleibt im Dunklen. Ich denke, es war der Ehemann, der ohne sein unangepasste Ehefrau ein neues Leben beginnen konnte.
Trotzdem schafft es die Autorin eine spannende Geschichte rund um Emiliy Kempin-Spyri zu weben. Interessant ist, dass ihre Johanna Spyri, obwohl sie lange Zeit als Vorbild für Emiliy gedient hat, ihr nicht wirklich beigestanden ist, sondern die tradierten Ansichten über ein Frauenleben befürwortet hat.
Fazit:
Eine interessante Biografie einer Frau, die ihrer Zeit weit voraus war und dafür in eine Irrenanstalt gesperrt worden ist. 4 Sterne.