"Ascona" ist eines dieser seltenen Bücher, die mich emotional weit über das Lesen hinaus packen und zudem sprachlich auf besondere Weise erfreuen konnten. Es ist schade, daß solche Bücher so selten sind, aber umso mehr freut man sich, wenn man eine solche Buchperle entdeckt hat. Nachdem mir Rais "Im Licht der Zeit" überhaupt nicht gefallen hat, hätte ich fast nicht zu "Ascona" gegriffen, aber Remarque ist einer meiner Lieblingsautoren und so überwog zum Glück das Interesse. Das Buch beginnt bereits unmittelbar und intensiv. Die düstere Verderbenswolke, mit der die Nazis im Laufe der nächsten zwölf Jahre die Welt überziehen werden, liegt schon über Berlin und ist für die Leser gleich gelungen unbehaglich spürbar. Remarque flüchtet knapp vor der sog. Machtergreifung in die Schweiz und wir begleiten ihn über die folgenden sechs Jahre und tauchen in das Leben der verschiedenen dortigen Emigranten ein, die wir durch Remarques Augen erleben. Schillernde, skurrile, zerstörte Charaktere lernen wir hier kennen, die farbig von den Seiten treten - fast glaubt man, mit ihnen an einem der Kaffee- oder Dinnertische zu sitzen. Die Atmosphäre ist ausgezeichnet eingefangen, in jeder Szene, in jedem Moment. Rai schreibt klar, zugänglich und sehr gekonnt. Der Stil ist eine reine Freude und ein Beweis, daß es eben nicht das Prätentiöse ist, das gutes Schreiben ausmacht.Ein kleines Manko war für mich das fast vollständige Verzichten auf Informationen, in welchem Jahr wir und Remarque uns gerade befinden. Remarque geht ins Exil, es ist 1933, dann tappen die Leser im Dunkeln, bis irgendwann die Olympischen Spiele erwähnt werden und man weiß, es ist mittlerweile 1936. Hier wäre zwischendurch ein Hinweis besser gewesen.Auf feine, fast elegant-subtile Weise lässt Rai seine Geschichte emotional unglaublich intensiv wirken. Ich mußte das Buch zwischendurch weglegen, weil es regelrecht auf der Seele lastete. Er läßt die ständige Bedrohung durch die Nazis über allem lasten, mal mehr, mal weniger spürbar, aber immer vorhanden. In einer Szene wird beschrieben, wie die Autoren in Ascona am Radio sitzen und zuhören, wie in Berlin ihre Bücher verbrannt werden - eine unheimliche, bedrückende und schmerzhafte Szene. "Dabei hatten sie weniger um sich selbst oder ihre Bücher als um ihr Land getrauert. Zweig, Tucholsky, Mann, sämtliche großen und schönen und mutigen Geister, verbrannt. Durch die Tyrannei von Arschgeigen." Beklemmend, auch durch die gruselige Aktualität, die solche Szenen angesichts der momentanen Entwicklung gerade in den USA vermitteln. Die psychische Last, die auf allen Emigranten lastet, wird ebenfalls auf diese gekonnte Art vermittelt. "Es gab nichts Schönes mehr in diesen Tagen, dem nicht auch Tragik beigemischt war." Das Buch wird immer dunkler, immer unruhiger, man spürt förmlich, wie die psychischen Kräfte der Emigranten schwinden und der dunkle Nebel des Kriegsverderbens sich verdichtet."Wie war es möglich, dass das Schicksal eines ganzen Kontinents von einem Hanswurst abhing, der umso dreister wurde, je weniger Widerstand man ihm entgegensetzte." Eine jener Sätze, die traurigerweise auch aus heutiger Zeit stammen können, was die Lektüre noch beklemmender macht. Und so überzeugt "Ascona" in vielerlei Hinsicht. Es ist ungemein informativ, was Remarque, seine Arbeit und sein Leben betrifft, auch im Hinblick auf die Emigrantenszene erfährt man viel und spürt die sorgfältige Recherche. An der wundervoll gekonnten Sprache könnten sich viele Autoren ein Beispiel nehmen und das Atmosphärische ist meisterhaft beschrieben. Eine Buchperle.