»Lesen Sie bitte dieses Buch, es ist hinreißend. Ich habe so viel Neues erfahren, über die Liebe, die Kunst und das Grauen. « Ferdinand von Schirach
Die spektakuläre Neuerzählung der dreißiger Jahre - Der Nummer 1 Bestseller jetzt im Taschenbuch
»Absolut mitreißend: Auf jeder Seite gibt es etwas Neues zu entdecken. « Daily Telegraph
Als Jean-Paul Sartre mit Simone de Beauvoir im Kranzler-Eck in Berlin Käsekuchen isst, Henry Miller und Anaïs Nin wilde Nächte in Paris und »Stille Tage in Clichy« erleben, F. Scott Fitzgerald und Ernest Hemingway sich in New York in leidenschaftliche Affären stürzen, fliehen Bertolt Brecht und Helene Weigel wie Katia und Thomas Mann ins Exil. Genau das ist die Zeit, in der die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland ergreifen, Bücher verbrennen und die Gewalt gegen Juden beginnt.
1933 enden die »Goldenen Zwanziger« mit einer Vollbremsung. Florian Illies führt uns zurück in die Epoche einer singulären politischen Katastrophe, um von den größten Liebespaaren der Kulturgeschichte zu erzählen: In Berlin, Paris, im Tessin und an der Riviera stemmen sich die großen Helden der Zeit gegen den drohenden Untergang. Eine mitreißend erzählte Reise in die Vergangenheit, die sich wie ein Kommentar zu unserer verunsicherten Gegenwart liest: Liebe in Zeiten des Hasses.
»Eine Gesellschaftsgeschichte in Zweier- und Dreierbeziehungen. Indiskret, schonungslos und aufregend. Desillusionierend und anrührend zugleich. Ein Bravourstück. « Harald Jähner
Besprechung vom 13.08.2025
Rilkes Schnupfen und Picassos Katzen
Von Florian Illies' "1913" bis Uwe Wittstocks "Marseille 1940": Seit mehr als einem Jahrzehnt reüssieren historische Sachbücher, die kleine Szenen aus dem Alltag von Dichtern und Denkern zu einem Zeitpanorama montieren. Ist das moderne Geschichtsschreibung oder Netflix für Bildungsbürger?
Rainer Maria Rilke hat Schnupfen." So lesen wir im Kapitel "März" von Florian Illies' Sachbuch "1913: Der Sommer des Jahrhunderts". Davor steht, durch Raute und Leerzeilen getrennt, ein kaum seitenlanger Abschnitt zum Selbsthass und Alkoholismus des Dichters Georg Trakl. Nach Rilkes Schnupfen und einem weiteren Trennungszeichen hören wir von der "schwer depressiven" Virginia Woolf, die ihr erstes Romanmanuskript zum Verleger schickt. Soll die Empfindlichkeit Rainer Maria Rilkes also mit den wirklichen Problemen anderer Schriftsteller kontrastiert werden? Solche Vergleiche werden ebenso dem Leser überlassen wie eine etwaige Verbindung von Rilkes Gesundheitszustand und seinem Werk.
Gerade weil die Bedeutung dieses Schnupfens in der Literaturgeschichte aber offenbleibt, ist seine Bedeutung in der Literaturgeschichtsschreibung umso erheblicher. Denn der eingangs zitierte Satz treibt, in seiner Alltäglichkeit und Unverbundenheit, Illies' Methode in "1913" auf die Spitze. Und mit dieser Methode, so heißt es heute im Klappentext, begründete das Buch "ein neues Genre der erzählenden Geschichtsschreibung".
Man kann das kaum als großspurige Eigenwerbung des Verlags abtun. Erschienen 2012 und damit überpünktlich zum Jubiläum (wenn man bei einer bloßen Jahreszahl von einem Jubiläum sprechen kann), ist "1913" zu einem der erfolgreichsten deutschen Sachbücher des einundzwanzigsten Jahrhunderts avanciert. Während Verlage in der Regel schon mit ein paar Tausend verkauften Exemplaren zufrieden sind und deutsche Autoren sich im Ausland eher schwertun, stand "1913" achtzehn Wochen lang auf Platz eins der "Spiegel"-Bestsellerliste, verkaufte sich rund eine Million Mal und wurde in 27 Sprachen übersetzt.
Rasch fand Illies' Erfolgsmodell fast ebenso erfolgreiche Nachahmer. Volker Weidermann mit "Ostende 1936" und "Träumer", Wolfram Eilenberger mit "Zeit der Zauberer" und "Feuer der Freiheit", Uwe Wittstock mit "Februar 33" und "Marseille 1940", Illies mit seinen eigenen Sequels "1913: Was ich unbedingt noch erzählen wollte" und "Liebe in Zeiten des Hasses": Sie alle schreiben über große Schriftsteller, Künstler und Philosophen, bevorzugt der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Sie alle montieren kurze Szenen aus dem Alltag dieser Intellektuellen zu einem Panorama ihres Lebens und ihrer Zeit. Und sie alle zählen damit zu den gegenwärtig meistverkauften Autoren ihrer durchweg sehr renommierten Verlage, ja zu den meistverkauften Sachbuchautoren überhaupt. Was ist es, das ihre Werke neu, aufregend und erfolgreich macht? Und was geht dabei womöglich verloren?
Traditionell gelten Sachbücher, zumal historische, als anstrengend und schwer. Wenn Texte, frei nach Horaz, entweder nützen oder erfreuen sollen, steht hier eindeutig der Nutzen, im Sinne des Wissenszuwachs, im Vordergrund. Für diesen Wissenszuwachs, so häufig die stillschweigende Annahme, muss der Leser die ein oder andere Strapaze auf sich nehmen, etwa abstrakte Gedankengänge nachvollziehen oder mit fremden Begriffen hantieren lernen.
Die Sachbücher von Illies und seinen Nachfolgern sind dagegen alles andere als anstrengend und schwer. Das beginnt bei der Länge der Texteinheiten. Während sich traditionelle Kapitel über Dutzende Seiten ziehen, sind die Abschnitte hier oft nur ein paar Zeilen, selten mehr als ein oder zwei Seiten lang, durch Asteriske oder andere Sonderzeichen getrennt und auch inhaltlich kaum verbunden. Gerade noch sahen wir Thomas Mann sein neues Grundstück besichtigen, jetzt hören wir von Picassos drei Siamkatzen, gleich blicken wir Kafka bei seinen selbstbezichtigenden Liebesbriefen an Felice Bauer über die Schulter: alles innerhalb von einer Minuten Lesezeit. So fühlt sich auch ein Leser mit geringer Aufmerksamkeitsspanne hinreichend unterhalten, kann jederzeit aus- und einsteigen. Fast ist es, als scrolle man durch den Feed eines Social-Media-Accounts im Jahr 1913 oder 1933.
Wie in vielen Medienformaten der Gegenwart wird zudem einiges getan, um das Geschehen so nah wie möglich an den Betrachter heranzuholen. Der fast durchgehende Gebrauch des Präsens hilft, die historische Distanz zu überbrücken. Äußere Beschreibungen wie Angaben zum Wetter erzeugen eine realistische Atmosphäre, lassen den Leser mitsehen und mitfühlen: "Berlin friert schon seit Wochen", beginnt Wittstocks "Februar 33"; "die bunten Badehäuser leuchten in der Sonne", hebt Weidermanns "Ostende 1936" an. Man erkennt, dass die Autoren Feuilletonisten sind, und nicht Wissenschaftler, wie sonst bei historischen Sachbüchern üblich. Bisweilen überschreiten sie gar die Grenze zur Fiktion: Während Wittstock betont, dass kein noch so kleines Detail bei ihm erfunden sei, hat man Illies' allwissendem Erzähler einige Sachfehler nachgewiesen. Weidermann wiederum setzt so stark auf eine anschauliche Außen- und psychologisierende Innensicht, dass sich mancher Rezensent fragte, ob "Ostende 1936" noch ein erzählendes Sachbuch oder nicht eher ein auf Tatsachen beruhender Roman sei.
Vor allem aber sorgt für Nahbarkeit, dass die großen Geister der Vergangenheit nicht in ihrem Denken, sondern in ihrem Alltag präsentiert werden: in dem Bereich also, den sie mit uns teilen und den wir deshalb am besten nachvollziehen können. Das gilt selbst dann, wenn sie sich darin - wie man es von Genies fast schon erwartet - vollkommen außergewöhnlich verhalten: Kaum jemand würde, wie Ludwig Wittgenstein, auf ein Millionenerbe verzichten, um Volksschullehrer zu werden; dennoch sind uns Fragen von Erbe und Berufswahl näher als Probleme der analytischen Sprachphilosophie. Die "Duineser Elegien" konnte nur Rilke schreiben, Schnupfen aber hatte jeder schon einmal.
Nun sind Illies und seine Nachfolger nicht die Ersten, die die Großen der Geschichte im Kleinen darstellen wollen. Schon im ersten Jahrhundert nach Christus provozierte der griechische Biograph Plutarch die traditionell kriegsversessenen Historiker der Antike mit der These, "eine kleine Sache, ein Wort oder ein Witz" sage mehr über den Charakter eines Menschen aus als "Schlachten mit Tausenden von Toten". Der ebenso rebellisch gestimmte Friedrich Nietzsche plädierte in seiner Frühschrift "Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen" für dezidierte Unvollständigkeit: "Aus drei Anekdoten ist es möglich, das Bild eines Menschen zu geben". Egon Friedell schließlich, Sprössling der Wiener Moderne und Autor einer bis heute viel gelesenen "Kulturgeschichte der Neuzeit", hielt die Anekdote gar für die "einzig berechtigte Kunstform der Kulturgeschichtsschreibung".
Der Sinn des Kleinen liegt nach solcher Auffassung darin, pars pro toto auf etwas Größeres zu verweisen: auf den Charakter eines Herrschers, die Eigenheiten eines Denkers oder die Merkmale einer Epoche. Doch was die Werke von Plutarch oder Friedell zu Klassikern gemacht hat, ist bei Illies und Co. deutlich schwerer zu entdecken. Auf welches Größere verweisen Kafkas Liebesnöte oder Picassos Katzen? Mit anderen Worten: Was wollen uns die Erfolgsbücher der vergangenen Jahre eigentlich sagen?
Wolfram Eilenbergers Bestseller "Zeit der Zauberer", "Feuer der Freiheit" und "Geister der Gegenwart" lassen sich noch am ehesten als Einführung in Leben und Werk der behandelten Figuren begreifen, als popularisierende Philosophiegeschichte. Zu Wittgensteins "Tractatus logico- philosophicus" zum Beispiel schreibt Illies nur, dieser sei "so komplex, dass selbst Russell, als er brieflich darum gebeten wird, Korrektur zu lesen, sich noch einmal seine eigenen Fragen schicken lassen muss, um Wittgensteins Antworten zu verstehen". Eilenberger dagegen zitiert immer wieder aus dem Werk, fasst dessen Grundgedanken zusammen und setzt die Entstehung mit Wittgensteins Kriegserlebnissen in Beziehung. Es hilft zweifellos, dass er sich auf je vier Protagonisten konzentriert, und sich die Schriften von Philosophen leichter auf ein paar Thesen bringen lassen als die Romane der von Illies, Wittstock und Weidermann vorrangig behandelten Dichter.
Bei Wittstock und Weidermann steht meist ein dramatischer historischer Augenblick im Mittelpunkt: die Münchner Räterepublik 1918/19 ("Träumer"), die ersten Wochen nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ("Februar 33") oder der deutsche Frankreichfeldzug mit seinen Folgen für literarische Emigranten ("Marseille 1940"). Wittstock formuliert sogar so etwas wie ein historiographisches Programm. Angesichts erschreckender Parallelen zur Gegenwart wolle er zeigen, "was nach einer fatalen politischen Fehlentscheidung mit einer Demokratie geschehen kann", schreibt er im Vorwort zu "Februar 33". Und im Nachwort zu "Marseille 1940" beklagt er, dass Varian Fry, der Protagonist seines Buchs und wichtigste Fluchthelfer deutscher Emigranten, bislang nicht die Anerkennung gefunden habe, die er verdiene.
Am schwersten ist eine Aussageabsicht beim erfolgreichsten der Autoren, bei Florian Illies, zu identifizieren. Die Hunderte Szenen in den beiden Büchern zu "1913" verbindet wenig mehr als ihre bloße Gleichzeitigkeit. Zwar entdeckt man bei manchen Figuren über die insgesamt 600 Seiten gewisse Verhaltensmuster, die gelegentlich auch zu einem Charakterbild verdichtet werden. So, wenn Illies Kafka kommentiert: ",Noch immer unentschieden. Franz'. Vier Wörter, eine Autobiographie." Doch sind die behandelten Figuren ja nicht durch ihre Persönlichkeit, sondern durch ihre Werke in die Geschichte eingegangen - und Letztere sind für Illies meist nur als Kuriositäten interessant. Auch in der Verlagsankündigung zu seinem nächsten Buch, das im Oktober erscheinen und die "Familie Mann in Sanary" behandeln soll, ist von Literatur keine Rede.
Man wird Wittstock, Weidermann und Illies vermutlich am ehesten gerecht, wenn man ihre Bücher nicht als Geistes-, sondern als Zeitgeschichte betrachtet und daran bemisst. Das Größere, auf das die vielen Anekdoten verweisen, ist vielleicht einfach die Summe seiner Teile: ein historisches Panorama. Der Wert ihrer Bücher liegt dann nicht primär darin, die Dichter und Denker von ihren Denkmälern ins Alltagsleben zu holen. Ihr Wert liegt vor allem darin, in diesem Alltagsleben eine vergangene Epoche erfahrbar zu machen - wozu Schnupfen ebenso gehören kann wie Emigration. Das hohe Erzähltempo und der häufige Perspektivwechsel erhöhen die immersive Anziehungskraft zusätzlich. Nach mehreren Stunden binge reading von "1913" glaubt man sich womöglich wirklich ins Jahr 1913 zurückversetzt.
Wie bei vielen Netflix-Serien oder Social-Media-Formaten hat die unmittelbare Anschaulichkeit der Darstellung freilich auch ihre Schattenseiten. Denn so sehr Nahbarkeit und Einfühlung dazu beitragen, den Betrachter ins Geschehen hineinzuziehen, braucht es zur Erkenntnis doch Abstand und Reflexion. Die besten historischen Sachbücher wechseln daher Passagen lebhafter Erzählung mit Passagen betrachtender Analyse ab. Letztere fehlen bei Illies und Co. Die einzelnen Szenen folgen in einem solchen Tempo aufeinander, dass dem Leser keine Zeit bleibt, über Zusammenhänge und Kausalitäten nachzudenken - geschweige denn dass die Texte selbst darüber reflektierten. Hätte die Moderne auch ohne den Ersten Weltkrieg ihren gesellschaftlichen Durchbruch erlebt? Inwiefern trugen deutsche Intellektuelle zur geistigen Atmosphäre bei, die den Nationalsozialismus erst ermöglichte? Antworten auf solche Fragen sucht man vergebens. Der Wissenszuwachs bleibt begrenzt.
So hängt die Bewertung der jüngsten Erfolgsbücher auch von der eigenen Sicht auf die Gegenwart ab, der eigenen Haltung zu Geistesdemokratismus respektive Kulturkritik. Entweder man freut sich, dass Illies und andere eine Form gefunden haben, mit der sich auch im 21. Jahrhundert ein breites Publikum für die Geschichte und Kultur der Klassischen Moderne interessieren lässt. Oder aber man bedauert die Vereinfachungen und Verrenkungen, die dafür offenbar nötig sind. Wie jedes Geschichtswerk ist auch das historische Sachbuch der Gegenwart ein Kind seiner Zeit. JANNIS KOLTERMANN
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.