Palästinensische Familiengeschichte, die zeigt, dass das Private politisch und das Politische privat ist.
Es ist die Geschichte der Familie Yacoub, die Hala Alyan in ihrem RomanHäuser aus Sand über vier Generationen erzählt. Sie beginnt mit Salma, dem Familienoberhaupt, der die Flucht aus Jaffa während des ersten arabisch-israelischen Krieges noch immer in den Knochen sitzt und die hofft, dass ihre Kinder in Sicherheit und Stabilität aufwachsen können. Sie fährt fort mit ihrem Sohn Mustafa, der im Sechstagekrieg stirbt, und ihrer Tochter Alia, die Mustafas besten Freund Atef heiratet und mit ihm nach Kuwait flieht, wo sie nie heimisch wird. Sie berichtet von Alias Kindern Riham, Karam und Souad, die im Zuge des ersten Golfkriegs in Amman, Boston und Paris landen und dort mehr oder weniger ihr Glück finden. Sie endet mit Abduallah, Linah, Manar und Zain, Alias Enkelkindern, die zwischen der westlichen und der östlichen Welt stehen und versuchen, in diesem Dazwischen ein Zuhause zu finden.Häuser aus Sandist einerseitsein klassischer Familienroman, der die einzelnen Mitglieder über mehrere Jahre begleitet und ihre Beziehungen untereinander verhandelt.Wie in so vielen anderen Büchern der Art wird hier geliebt und gestritten, es werden Geheimnisse verschwiegen und Anschuldigungen herausgebrüllt. Es geht um Eltern-Kind-Beziehungen und das Verhältnis des einzelnen zu sich selber: Welche Rolle spiele ich in dieser Familie? Was fühle ich in dieser Konstruktion aus nahen und fernen Verwandten? Wer bin ich jenseits der Zuschreibungen durch andere Familienmitglieder?Und doch ist anHäuser aus Sandetwas anders.Die Familiengeschichte wird konsequent vor dem Hintergrund der Konflikte im Nahen Osten erzählt- und zwar nicht, weil sich das literarisch gut macht, sondern (und das ist die zentrale Botschaft während der Lektüre vonHäuser aus Sand) weil jede Familie,jedes Leben in dieser Region aufs engste mit der dortigen Politik verbunden ist - ob es der einzelne will oder nicht.Denn der Großteil der Familie Yacoub ist dezidiert nicht-politisch, ja will sich eigentlich aus den Irrungen und Wirrungen heraushalten.Krieg, Flucht, Verfolgung, Ausgrenzung sind keine Themen, die von den Mitglieder auf intellektuelle Weise am Küchentisch, in Ausschüssen oder sonstigen politische Zusammenkünften diskutiert werden, sondern etwas, was sie im Laufe der Jahrzehnte immer wieder erleben müssen - obwohl ein jeder und eine jede von ihnen hofft, nach der letzten Flucht, nach dem erneuten Schaffen eines Zuhauses nun endlich eine Heimat für die Familie gefunden zu haben.Doch ob Nabulus, Kuwait, Amman oder Beirut: Jede Stadt scheint rückblickend immer nur für einen bestimmten Lebensabschnitt eine Bleibe sein zu dürfen.Hala Alyan erzählt diese lebendige, aber auch schmerzhafte Geschichte auf atmosphärische Art und Weise.Immer wieder werden arabische Begriffe eingestreut, die in einem Glossar auf den letzten Seiten erklärt werden, das ebenso hilfreich ist, wie der Stammbaum zu Beginn, da man bei der Fülle der Figuren schon einmal den Überblick verlieren kann. Diesekommen abwechselnd zu Wort, wobei zwischen den einzelnen Kapiteln mehrere Jahre liegen, sodass die Entwicklungen aller Familienmitglieder verfolgt werden kann, diese dabei jedoch aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet und bewertet werden. Obwohl die Figurenperspektiv ständig wechselt, führt diese Multiperspektivität dazu, dassman den einzelnen Familienmitgliedern trotzdem nahekommtund ihre Einstellungen sowie Handlungsmotivationen gut versteht.Häuser aus Sandistein Roman über Heimat- und Wurzellosigkeit und stellt den Nahostkonflikt dezidiert in das Zentrum seiner Handlung. Gleichzeitig ist es kein Buch, das speziell für westliche Leser:innen geschrieben wurde, denen es kleinteilig die Konfliktherde der Region erläutert, sondern richtet sich mehr an Mitglieder der Community, die den Schmerz der Protagonist:innen nachvollziehen können, weil sie ihn aus ihren eigenen Familien kennen. Für mich daherein authentisches, wenn auch immer wieder fremdes Leseerlebnis, das noch lange nachhallt. 5 Sterne und eine absolut Leseempfehlung.