Besprechung vom 07.07.2025
Hohlbirnen auf der Abschussliste
So einen Autor kann man sich nicht schnitzen: Les Edgertons "Das grenzgeniale Pseudo-Kidnapping"
Das Zellengitter schließt sich hinter Pete Halliday. Weil er bei einem illegalen Hahnenkampf hochgenommen wurde, teilt er seine paar Quadratmeter vorübergehend mit einem Genossen, der sich Traumfänger nennt, denn in seiner Kindheit, so berichtet der verurteilte Mörder, habe er sich das Fliegen beigebracht und gedenke sich nun seiner Strafe im richtigen Moment durch eiserne Willenskraft schwebend zu entziehen.
So ist Les Edgertons "Das grenzgeniale Pseudo-Kidnapping" die ganze Zeit. Wie die völlig irre Haken schlagende Geschichte eines Knastbruders, auf die man sich mangels Alternativen vorbehaltlos einlassen muss, der man sich aber genau genommen auch gar nicht entziehen will. Der Tonfall ist derb, schon nach wenigen Seiten werden Kinks von der eher exzentrischen Sorte diskutiert, und im weiteren Verlauf bleibt neben gespielten Tourette-Anfällen und einer dilettantisch ausgeführten Amputation kaum etwas außerhalb der Grenzen des Denk- und Schreibbaren.
"Der erste Haken an der Sache zeigte sich sofort." Mit diesen Worten beginnt der Roman, und in seinen wenigen hellen Momenten beklagt Pete fortan immer wieder stoisch, nicht schon längst aus der ganzen Sache ausgestiegen zu sein. Allein das lässt die nächste immer noch wahnwitzigere Höhe erahnen, in die sich diese Pulp-Komödie noch aufschwingen wird. Der 1943 geborene Hardboiled-Autor Les Edgerton erzählt mit einem unwiderstehlichen Suchtfaktor; sein Stil verbindet an Bartresen ausgeschmückte Anekdoten und urbane Gangsterlegenden mit einer Umgangssprachlichkeit, bei der die Sprüche so locker-flockig sitzen wie sonst in der deutschsprachigen Sphäre nur bei Synchronpapst Rainer Brandts Schnodderdeutsch. "Tommy, ich sage dir das nicht gerne, weil ich nicht die Tassen in deinem offensichtlich sparsam bestückten Schrank zum Wackeln bringen möchte, aber mit so viel Luft im Schädel bist du echt gefährlich."
Zu Beginn der Geschichte ist das Kind schon in den Brunnen gefallen, denn Pete ist da bereits seiner Nemesis begegnet. Der Ich-Erzähler ist ein ehemaliger Baseballprofi, dessen Spielsucht ihm ständig Schulden bei den falschen Leuten und Bedarf an schnellem Geld einbringt. In der klebrigen Hitze seiner Wahlheimat New Orleans sitzt er den hirnverbrannten Plänen des Cajun Tommy LeClerc auf. Die beiden gehen eine Verbindung ein, die in ihrer katastrophalen Unaufhaltsamkeit einem Mentos gleicht, das in eine Flasche Cola geworfen wird; zwei auf ihre eigene Art unerklärlich liebenswerte Hohlbirnen, die keine drei Meter im Voraus denken.
Gemeinsam wollen sie die Ehefrau eines Supermarktchefs entführen, um dessen Tageseinnahmen zu erpressen. Unglücklicherweise übersehen sie dabei, dass der Supermarktchef ein hohes Tier in der örtlichen Mafia ist, vermasseln die Entführung, und die gewiefte Ehefrau türmt mit ihrem Liebhaber und dem ergaunerten Geld; ein nicht unbedeutendes Detail, das aber wiederum der Mafia entgeht - und schon stehen Pete und Tommy auf der Abschussliste.
Unterwegs füllt Les Edgerton das Figurenklischee der Hure mit dem goldenen Herzen mit Leben, unternimmt einen Ausflug in die Gefilde der Splatter-Parodie und führt die ausgeklügelten Diebstahlspläne des Heist-Genres mithilfe der fummeligen Fernsteuerung eines kanariengelben Modellbootes ad absurdum. Etwas fundamental Neues ist "Das grenzgeniale Pseudo-Kidnapping" nicht, aber das ist auch gar nicht Sinn der Sache. Edgertons Kapitel tragen Überschriften wie "Endstation ohne Sehnsucht"; sind abgewandelte Zitate und Filmreferenzen und damit ebenso Pastiche wie das breitbeinige Gehabe der White-Trash-Gangster eine billige Imitation Schwarzer Kultur ist, nur abzüglich der Naivität. Eben ganz so wie es der Titel im Original verspricht: "The Genuine, Imitation, Plastic Kidnapping".
Der Autor legiert die wildesten, zusammenhanglos erscheinenden Ideen und Versatzstücke zu etwas ganz Eigenem, zu einem Vielfachen mehr als die Stilübung eines Routineschreibers. Im Kern erzählt das Buch die Geschichte einer Umverteilung - nur eben ausschließlich innerhalb des kriminellen und halbkriminellen Milieus, das sich in der Romanlogik im Übrigen nicht allzu sehr von der übrigen kapitalistischen Ordnung unterscheidet. Die Polizei spielt dabei höchstens als diffuse Bedrohung im Hintergrund eine Rolle, und ebenso wenig gibt es unschuldige Opfer oder moralische Instanzen; allenfalls so etwas wie eine höhere, ausgleichende Gerechtigkeit. Man wünschte sich, dass einer mit seiner Lebenserfahrung, diesem stechenden Humor bei zugleich völlig klarem Blick auf die Verhältnisse immer weiter schriebe. Leider ist Les Edgerton 2023 an den Folgen einer Covid-Infektion verstorben. KATRIN DOERKSEN
Les Edgerton: "Das grenzgeniale Pseudo-Kidnapping".
Aus dem amerikanischen Englisch von Stefan Rohmig.
Pulp Master Verlag, Berlin 2025. 368 S., br.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.