Besprechung vom 03.01.2025
An der politischen Ordnung sollte nicht gerüttelt werden
Lebensführung interessierte sie stärker als metaphysische Spekulation: Ein Handbuch nimmt wichtige Aufklärungstheologen in den Blick
Als Wilhelm Traugott Krug, der Nachfolger Kants auf dem Königsberger Lehrstuhl für Philosophie, 1828 den Dritten Band seines "Allgemeinen Handwörterbuchs der philosophischen Wissenschaften, nebst ihrer Literatur und Geschichte" veröffentlichte, verwies er beim Lemma "Neologie und Neologismus" auf den Artikel "alter Glaube" des Ersten Bandes. Er unterschied hier "Altgläubigkeit" von "Rechtgläubigkeit" und "Neugläubigkeit" von "Falschgläubigkeit". Im theologischen "Neologismus", der die alte, durch philosophische Kritik als zutiefst unvernünftig und obsolet erwiesene Kirchendogmatik durch eine neue, freie Lehre vom wahrhaft Christlichen reformieren wollte, sah er eine potentielle Gefahr für die etablierte politische Ordnung: "Daß man den Neologismus gewöhnlich für fehlerhafter und also auch für gefährlicher als die paläologische Lehre hält, kommt daher, daß die Verbreitung neuer religiöser Lehren die Gemüther eben wegen ihrer Anhänglichkeit am Alten stark bewegt, mithin wohl auch Unruhen erregt und, wenn sich an die alten Lehren gesellschaftliche Verhältnisse geknüpft haben, diese dadurch erschüttert werden."
Krugs Ansicht, dass jene protestantischen Aufklärungstheologen, die von ihren traditionstreuen Gegnern als "Neologen" bezeichnet wurden, die herrschende feudalständische Ordnung unterminieren wollten, war unbegründet. Das vom Münsteraner Kirchenhistoriker Albrecht Beutel herausgegebene "Neologie Handbuch" lässt erkennen, dass keiner der "Neulinge" mit ihrer, so Lessing, "neumodischen Theologie" auch den politischen Status quo zu verändern versuchte. Dazu waren sie in der hierarchisch strukturierten Institutionenordnung in allzu privilegierten Positionen.
Sie hatten teils sehr hohe Kirchenämter inne oder verfügten als viel gelesene Universitätsprofessoren, deren Ideen zur Glaubensreform ihre Hörer bald als Hauslehrer und Pastoren erfolgreich verbreiteten, über großes Ansehen im sich bildenden Bürgertum. Sie bereiteten der Durchsetzung der modernen bürgerlichen Gesellschaft nur indirekt den Weg, etwa indem sie die religiöse Mündigkeit des Einzelnen verkündeten und ihm das Recht auf seine "Privatreligion" zuerkannten.
Doch in ihrer Kritik der überkommenen kirchlichen Dogmatik blieben prominente Neologen wie der Braunschweiger Hofprediger Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem, der Propst an der Berliner Nikolaikirche Johann Joachim Spalding und der Hallenser Theologieprofessor Johann Salomo Semler schon deshalb moderat, weil sie Lebensführung und Sozialmoral ungleich stärker interessierte als metaphysische Spekulation.
Auch in der historisch-kritischen Erkundung der biblischen Texte waren sie alles andere als radikal. Niemals stellten die Neologen infrage, dass Gott sich auf zweierlei Weise, in seinem Wort und in seiner Schöpfung, der Natur, offenbart habe. Sie waren von der "Perfektibilität" des Christentums überzeugt und wollten durch die Unterscheidung von "Kern" und "Schale" das "Wesen des Christentums" so zusammenfassen, dass es den am alten Dogma Zweifelnden und überhaupt Skeptischen wieder als bestes Mittel für ein "glückseliges Leben" einleuchtet.
Die Neologen, in den 1770er Jahren die einflussreichste theologische Richtung im deutschsprachigen Protestantismus, setzten deshalb auf "Populartheologie" und verbreiteten ihre "Religionsverbesserung" nicht nur in gelehrten Werken, sondern auch in Bestsellern wie Spaldings "Vertrauten Briefen, die Religion betreffend", Erbauungsbüchern und Predigtsammlungen.
Handbücher sind ein schwieriges literarisches Genus. Am "Neologie Handbuch" sind einundvierzig Autoren beteiligt. Einige von ihnen lassen nur wenig Ahnung von den Aufklärungsdiskursen im letzten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts erkennen, andere zeigen subtiles Wissen. Dass theologische Aufklärer immer wieder miteinander stritten, wird kaum sichtbar. Im Beitrag zur "Katholischen Aufklärung" liest man zwar, "dass es eine katholische Neologie - etwa dem Begriff nach - nie gegeben hat". Aber man erfährt nichts darüber, ob und wie katholische Aufklärer protestantische Neologen zur Kenntnis genommen haben. Auch die Kant-Lektüren protestantischer Theologen kommen nur vage in den Blick. Ansonsten: viele solide Informationen über die protestantische Aufklärungstheologie, aber auch eine ganze Reihe von langweiligen, nur wenig Esprit verratenden Beiträgen. Dem Literaturverzeichnis hätte eine kritische Redaktion gutgetan. FRIEDRICH WILHELM GRAF
Albrecht Beutel (Hrsg.): "Neologie Handbuch".
Mohr Siebeck, Tübingen 2025. 515 S., geb.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.Es wurden noch keine Bewertungen abgegeben. Schreiben Sie die erste Bewertung zu "Neologie Handbuch" und helfen Sie damit anderen bei der Kaufentscheidung.