Ein Thriller, der leider erst zum Ende hin richtig spannend wird.
In "Wehrlos" ermittelt Kriminalkommissar Ben Andersen in einem Fall, der für die junge Mutter Mareike Ganter zum schlimmsten Albtraum ihres Lebens wird. Das Buch wurde von der deutschen Autorin Nora Benrath geschrieben und ist 2022 als eBook und Taschenbuch im HarperCollins Verlag (Verlagsgruppe HarperCollins) erschienen. "Wehrlos" ist ein Einzelband.Nora Benrath erzählt die Geschichte von Mareike Ganter und ihrer vierjährigen Tochter Nele, deren Welt auf den Kopf gestellt wird als Nele beim Spielen auf dem Spielplatz von einem fremden Kind entführt wird. Im ersten Moment konnte ich nicht glauben, was ich da gerade gelesen hatte aber im Laufe der Geschichte wird klar, dass auch das fremde Kind ein Opfer ist, dass lediglich als Mittel zum Zweck für die eigentlichen Entführer herhalten musste.Im Grunde hatte Nora Benrath damit einen vielversprechenden Anfang geschrieben, der der Beginn eines spannenden Thrillers hätte sein können, aber der Autorin gelingt es leider nicht die Geschichte so zu schreiben, dass die Spannung erhalten bleibt. Nachdem fesselnden Anfang bricht die Spannung leider komplett ein und es braucht fasst das gesamte Buch, bis die Geschichte wieder an Spannung gewinnt. Die Letzen Kapitel waren so spannend, dass ich das Buch keine Sekunde mehr aus der Hand legen wollte, aber bis zu diesem Punkt musste ich mich durch eine Geschichte schleppen, die stellenweise fast schon langweilig war. Ein guter Thriller lebt meiner Meinung nach aber von einer stetig ansteigenden Spannung, die in dem letzten Kapitel ihren absoluten Höhepunkt erreicht. Die Geschichte sollte also nicht erst auf den letzten Seiten spannend werden.Einer der Gründe für die fehlende Spannung, war für mich die Erzählung aus zu vielen unterschiedlichen Sichten. Normalerweise liebe ich Geschichten, die aus mehr als einer Sicht erzählt werden, aber in "Wehrlos" waren es am Ende einfach zu viele. Immer dann, wenn ich das Gefühl hatte, dass die Geschichte spannender wird, endete das Kapitel. In der Theorie hätte, dass förderlich für die Spannung sein können, in der Praxis hat es ihr aber jedes Mal einen Dämpfer verpasst. Die Autorin hat mit so gut wie jedem neuen Kapitel den Handlungsstrang gewechselt, was positiv für die Spannung hätte sein können, wenn sie sich auf eine überschaubare Menge beschränkt hätte. Am Ende hat die Geschichte immer mehr an Spannung verloren, weil die meisten Handlungsstränge für unnötige Längen gesorgt haben. Ich denke ein paar der Handlungsstränge, sollte den Leser auf eine falsche Fährte locken, das hat in den meisten Fällen aber nicht funktioniert, weil die Geschichte an diesen Stellen einfach zu vorhersehbar war.Ebenfalls nicht förderlich für die Spannung war die Geschwindigkeit mit der Nora Benrath Konflikte gelöst hat. Im Laufe der Geschichte gab es eine Menge Situationen, die perfekt für einen Konflikt geeignet gewesen wären. Aus den meisten Situationen hat die Autorin auch Konflikte entstehen lassen, leider löst sie die meisten davon aber schon nach nur wenigen Kapitel wieder auf. Der Leser hangelt sich also von Minikonflikt zu Minikonflikt, was den Spannungsanstieg jedes Mal abrupt zum Stillstand gebracht hat. Ein zwei große Konflikte, die sich im Laufe der Geschichte immer mehr zugespitzt hätten, wären sehr viel förderlicher für die Spannung gewesen.Ein weiterer Spannungsdämpfer war für mich definitiv die zu frühe Auflösung des Entführungsgrundes. Mir war bereits nach wenigen Kapitel klar, was für Absichten die Entführer verfolgen und auch wenn, die Autorin das Thema für mich gut umgesetzt hat, wäre es mir lieber gewesen, wenn sie die Hinweise zum Beginn des Buches sparsamer in die Geschichte hätte einfließen lassen.Neben der fehlenden Spannung hat mich auch die seichte Umsetzung des "Hauptthemas" gestört. Meiner Meinung nach hätte die Autorin aus diesem Thema so viel mehr machen können. Daher finde ich es sehr Schade, dass sie das Thema in gewisser Weise genauso totschweigt, wie es in der Realität leider gang und gäbe ist. Ja ich weiß, dass das zu 100% mein persönliches Empfinden ist und dass die Autorin wohl ihre Gründe für diese Art der Umsetzung hat, trotzdem hätte man das Thema wenigsten Mal beim Namen nennen können.Positiv hingegen fand ich die unterschiedlichen Charaktere. Nora Benrath ist es gelungen eine authentische Vielfalt an Charakteren zu erschaffen, die alle irgendwie zur Geschichte beigetragen haben. Die Charaktere kann man grob in drei Gruppen einteilen. Die Bewohner des Vorortes von Münster, die Polizisten und die Kriminellen. Die "Bewohner" Gruppe besteht aus Mareike Ganter und ihrer Tochter Nele, sowie den Nachbarn der Familie Ganter. Während die Nachbarn alle nur größere oder kleinere Nebenrollen spielen, stehen Mareike und Nele als Hauptfiguren im Mittelpunkt der Geschichte. Da wäre es meiner Meinung nach gut gewesen, wenn beide Charaktere eine sichtbare Entwicklung durchlaufen hätten. Leider passiert, dass aber nur bei Nele. Mareike erkennt zwar irgendwann, dass sie sich ändern muss, für meinen Geschmack hat sie für diese Erkenntnis aber zu lange gebraucht. Was sie mir sehr schnell unsympathisch gemacht hat.Ähnlich sieht es bei den Polizisten aus. Ben Andersen leitet zwar die Ermittlungen, er ist aber nicht der Polizist, der auf den finalen Hinweis stößt. Sein Kollege, der am Ende die richtige Spur findet, spielt leider nur eine kleine Nebenrolle. Ich hätte mir gewünscht, dass ich diesem Charakter schon sehr viel früher über die imaginäre Schulter hätte blicken dürfen.Es hat eine Weile gebraucht, bis mir klar war, dass die Kriminellen alle Teil einer Organisation sind. Trotzdem habe ich im Laufe der Geschichte immer wieder den Überblick verloren, weil für mich nie so ganz klar war, wer welche Rolle spielt und in welcher Beziehung die einzelnen Mitglieder zueinanderstehen. Schön fand ich, dass man die Charaktere nicht so ohne weiteres in eine Schublade stecken konnte, denn nur weil ihre Handlungen auf den ersten Blick illegal waren, hat sie das noch lange nicht zu schlechten Menschen gemacht.FazitIn "Wehrlos" beschäftigt sich Nora Benrath mit einem hochsensiblen Thema, dass sie für meinen Geschmack nicht detailliert genug beschrieben hat.