Besprechung vom 12.10.2024
Frohe Botschaft
Haben Frauen schlechtere Chancen, in den Bundestag zu kommen? Eine neue Studie sagt: Nein
Von Thomas Jansen
Von Thomas Jansen
Frauen sind unterrepräsentiert im Bundestag, nicht mehr so stark wie früher, aber immer noch deutlich: nur 34,8 Prozent der Abgeordneten in dieser Legislaturperiode sind weiblich. Seit Langem gibt es daher die Forderung, es müssten mehr Frauen ins Parlament, damit deren Interessen besser vertreten würden. Die Parteien geloben zwar Besserung, sagen aber, das sei schwierig zu bewerkstelligen. Und eine Quote wäre verfassungswidrig. Infrage gestellt wird die Argumentation mit der Repräsentationslücke kaum. Schließlich scheint die Annahme dem gesunden Menschenverstand geschuldet: Die Belange einer bestimmten Bevölkerungsgruppe werden am besten durch einen Repräsentanten ebendieser Gruppe vertreten.
Dahinter steht die Idealvorstellung eines Parlaments, in dem die verschiedenen Gruppen proportional zu ihrem Bevölkerungsanteil vertreten sind. Empirisch ist die Sache jedoch keineswegs so eindeutig. Das zeigt der Befund einer neuen Studie des Instituts für Parlamentarismusforschung (IParl) in Halle am Beispiel von Frauen. Die Politikwissenschaftler unter der Leitung von Suzanne Schüttemeyer haben in einer groß angelegten Befragung unter anderem die grundlegenden politischen Überzeugungen weiblicher Kandidaten für den Bundestag im Wahljahr 2017 und jene ihrer weiblichen und männlichen "Elektoren" erhoben, der Parteimitglieder, die sie als Kandidaten nominieren. Das Ergebnis: Die Überzeugungen der weiblichen Kandidaten stimmen "nur unwesentlich stärker" mit jenen der weiblichen Elektoren in der Partei überein als mit jenen der männlichen.
"Selbst bei großen Anstrengungen fällt es schwer, aus diesen empirischen Befunden eine Repräsentationslücke zuungunsten weiblicher Elektoren herauszulesen", lautet das Resümee. Offenbar würden die politischen Grundüberzeugungen von Frauen auch dann repräsentiert, wenn ihr Anteil unter den Parlamentskandidaten und- abgeordneten unter ihrem Anteil an der Bevölkerung liege. Ganz ausschließen wollen indes auch die Autoren nicht, dass weibliche Abgeordnete die Interessen von Frauen nicht entschiedener vertreten als männliche Abgeordnete. Aber wer dies behaupte, trage die Beweislast.
Die Studie bietet auch eine Antwort auf die Frage, warum Frauen im Verhältnis zu ihrem Bevölkerungsanteil seltener für den Bundestag kandidieren: Sie sind in den Parteien unterrepräsentiert. Diese Erkenntnis ist für sich genommen nicht ganz neu. Bemerkenswert ist der Befund für weibliche Parteimitglieder: Frauen, die in einer Partei sind, haben demnach keine schlechteren Aussichten auf eine Nominierung für ein Bundestagsmandat als ihre männlichen Konkurrenten, eher ist das Gegenteil der Fall. Nicht nur das Geschlecht spielt laut der Studie kaum eine Rolle dabei, ob politische Grundüberzeugungen übereinstimmen. Noch geringer ist demnach der Unterschied zwischen West- und Ostdeutschland.
Auch die Klagen, der Politikbetrieb werde in Deutschland im wachsenden Maße elitär, werden in der Studie insgesamt nicht bestätigt. Im Nominierungsverfahren für die Bundestagskandidaten in den Wahlkreisen und auf den Landeslisten seien soziale und demographische Merkmale der Bewerber kein Faktor, von dem der Erfolg abhänge, schreiben die Autoren. Entscheidend für eine Nominierung sei vielmehr das Engagement in der Partei und, ob der Kandidat schon Bundestagsabgeordneter sei oder nicht. Mit anderen Worten: Wahlplakate kleben und Amtsbonus. Darauf kommt es an, nicht auf Doktortitel, Vermögen oder familiären Hintergrund. Das ist eine frohe Botschaft für die deutsche Demokratie.
Susanne S. Schüttemeyer, Pia Berkhoff u. a. (Hrsg.): "Die Aufstellung der Kandidaten für den Deutschen Bundestag".
Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2024. 481 S., br.
© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.Es wurden noch keine Bewertungen abgegeben. Schreiben Sie die erste Bewertung zu "Die Aufstellung der Kandidaten für den Deutschen Bundestag" und helfen Sie damit anderen bei der Kaufentscheidung.