Was für ein phantastischer, bildgewaltiger Roman, direkt hinein in die geheimnisvolle, bunte, zauberhafte Welt des Zirkus! Ich bin wirklich aufs Neue von Tanja Webers Schreibstil beeindruckt: Mit klaren, schnörkellosen Wörtern und dennoch so ungeheuer mitreißend und intensiv, dass man die magische, glitzernde in sich geschlossene Welt des Zirkus mit allen Sinnen miterleben kann und ich mich von Anfang an dieser wunderschönen Geschichte nicht entziehen konnte, erzählt die Autorin Ellys Lebensgeschichte, einer Geschichte, die 1918 im Berliner Zirkus Busch ihren Anfang nahm: Elly ist ein richtiges, echtes Zirkuskind, das seine kleine Welt in der es lebt- die Manege, den Applaus des begeisterten und staunenden Publikums, das allabendlich in Scharen kommt, um die Artisten, Trapezkünstler, Zauberer, Clowns und die Auftritte mit den Tieren zu bewundern, die Gerüche- über alles liebt. Und die, die große, bunt zusammengewürfelte Truppe als ihre Familie ansieht. 1916 in eben diesem Zirkus geboren, kennt sie kein anderes Leben und will auch kein anderes. Als ihre Eltern, der Zauberer Jean und die Hochseil-Artistin Lotta Pignot bei einer ihrer berühmten Auftritte ums Leben kommen, werden die beiden Clowns Luigi und Zagarollo ihre beiden Ziehväter und fortan tritt sie als Mini-Clown mit beiden auf. Später wird sich Elly als Schlangenfrau einen großen Namen machen und 1934 bei einem Gastauftritt im Dresdner Zirkus Sarrasani in dem waghalsigen und faszinierenden Tigerdompteuer Hans Simon die Liebe ihres Lebens finden. Die Zeiten sind aber bedrückend und gefährlich geworden: Wie überall in Deutschland macht die Herrschaft der Nazis auch vor der in sich geschlossenen Gemeinschaft der Zirkusleute nicht halt: über jüdische Artisten werden Auftrittsverbote verhängt, viele verlassen, wie so viele andere jüdische Menschen, die in Wissenschaft, Kunst und Kultur tätig waren und jetzt verfolgt werden,Deutschland in Richtung Amerika, in der Hoffnung, sich dort ein freies, friedliches Leben aufbauen zu können. Auch Hans Simon ist Jude. Als Hans Stoch-Sarrasani 1934 mit seinem Zirkus eine große Südamerika-Tournee plant, nutzt auch Hans mit Elly zusammen die Gelegenheit, Deutschland zu verlassen. Als Tigermann und Schlangenfrau werden sie in der Neuen Welt bekannt und ihr Weg führt sie bis nach Las Vegas, wo sie sich schließlich niederlassen und dort allabendlich gemeinsame, spektakuläre Darbietungen mit ihren geliebten Tigern zeigen. Auch wenn Elly an der Seite ihres Mannes glücklich ist und sich geborgen fühlt, spürt sie immer wieder eine nagende Sehnsucht nach ihrer alten Heimat, sie möchte gerne ihr Berlin wiedersehen. Vierundachtzig Jahre ist Elly alt, als sie schließlich 1990 nach Deutschland und nach Berlin zurückkehrt und wo sie im Jahre 2016 in einem Pflegeheim den dort angestellten Pfleger John Mbete, der als Flüchtling aus Somalia vor einigen Jahren nach Deutschland kam, und sich gewissenhaft um die alten Menschen in dem Heim kümmert und sie liebevoll betreut, kennenlernt. Und mit der gleichen Intensität, mit der Tanja Weber aus Ellys bewegtem Leben schreibt, genauso intensiv und mitfühlend berichtet sie über Johns furchtbares und unvorstellbares Schicksal, über unermessliches Leid, das ihm widerfuhr. Ihre eindringliche Schilderung, wie John im Bürgerkrieg von Somalia seine Frau und seinen Sohn verlor, seine Flucht übers Meer nach Europa, seine Versuche hier in Deutschland eine neue Heimat zu finden und als Mensch anerkannt zu werden, dass ging mir sehr nahe. Und für eine leider nur kurze Zeitspanne werden John Mbete und die ehemalige Schlangenfrau Elly, die ihm gerne Geschichten aus ihrer über alles geliebten, langzurückliegenden Zeit im Zirkus erzählt, eine Familie füreinander. Mein Herz ist ein Wilder Tiger ist eine Geschichte voller Lebenskraft, Mut, Entschlossenheit,Liebe und zugleich ein zauberhaftes Erinnern an die glanzvolle Zeit der großen Zirkusse.