Zeugnisse einer gespenstischen Zeit
Duncker & Humboldt präsentiert Ludwig Feuchtwangers "Gesammelte Aufsätze"
Der Klang des Namens Feuchtwanger hat in München nach wie vor äußerst anziehende Wirkung. Die Stühle in der Rotunde des Stadtarchivs reichten bei weitem nicht aus, um allen einen Sitzplatz zu bieten, die zur Präsentation des im Verlag Duncker & Humblot erschienenen und von Rolf Rieß herausgegebenen Buchs "Ludwig Feuchtwanger - Gesammelte Aufsätze zur jüdischen Geschichte" gekommen waren.
Allgemeine Erleichterung, als auch Yehoshua Chmiel, der namens der Israelitischen Kultusgemeinde ein Grußwort sprach, zugab: "Natürlich sind mir die Feuchtwangers, voran Lion, als herausragende Münchner Patrizierfamilie bekannt gewesen; von Lions Bruder Ludwig aber habe ich erst durch die Vorbereitung auf diesen Abend erfahren." Gelernt habe er dabei, dass Ludwig "wegen seiner jüdischen, bayerischen und deutschen Art zu leben und zu wirken viel von dem verkörperte, was wir heute und in Zukunft in dieser Stadt darstellen wollen und werden".
Ludwig Feuchtwanger, geboren 1885 in München, war nach dem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften von 1913 bis 1933 wissenschaftlicher Leiter des Verlages Duncker & Humblot (damals mit Sitz in München und Leipzig), seit 1930 Herausgeber der Bayerischen Isrealitischen Gemeindezeitung und von 1936 an Leiter des Jüdischen Lehrhauses. Im November 1938 verhaftet und nach Dachau gebracht, konnte er 1939 noch mit seiner Familie nach England emigrieren. 1945 kam er im Dienst der US-Armee kurzfristig nach Bayern zurück und starb 1947 in England.
In seiner Buchvorstellung verwies Verleger Norbert Simon besonders auf die während der Nazi-Zeit entstandenen Beiträge mit Blick auf die Verhältnisse in Bayern und München. Das seien "spannende, zugleich aber fast gespenstisch anmutende Zeugnisse für den vergeblichen Versuch vieler jüdischer Intellektueller, auch in Zeiten der Barbarei noch eine gewisse geistige und kulturelle Normalität aufrecht zu erhalten".
Hans-Jochen Vogel schilderte, was die Familie Feuchtwanger im Lauf der Generationen alles zum Glanz Münchens beigetragen hat, erzählte von den engen Kontakten zu zwei Angehörigen der Familie in seiner Oberbürgermeister-Zeit: zu Lions Witwe Marta, die er auch in deren neuen Heimat in Pacific Palisades besuchte, und zu Walter Feuchtwanger, dem Wiederbegründer der Bank, der 1958 in seine Geburtsstadt zurückkehrte. Es müsse noch viel deutlicher werden, um wieviel ärmer München gewesen wäre ohne Familien wie die Feuchtwangers, die Bernheimers, die Rosenfelds ... Stadtarchivdirektor Richard Bauer konnte dazu gleich eine gute Nachricht liefern: Im November wird der erste Band eines biografischen Gedenkbuchs über Münchner Juden erscheinen, der in seinem Haus erarbeitet wurde.
Mit bewegenden Worten zeichnete der in England lebende Historiker Edgar Feuchtwanger, der mit Tochter, Sohn und zwei Enkeln nach München gekommen war, ein Lebensbild seines Vaters. Und vergaß dabei nicht, dessen "liebenswürdige , bayerisch-Münchner Umgangsweise" zu erwähnen, "die jede Schärfe und jedes Auftrumpfen vermied." Franz Freisleder, in: Süddeutsche Zeitung, 25.7.2003