Überzeugt erneut mit einem atmosphärisch dichten Setting, originellem Worldbuilding und eigenwilligem Humor!
"Emily Wildes Enzyklopädie der Feen" hatte ich mir als eines meiner 12 für 2025 Bücher vorgenommen, da der Klapptext mit einer exzentrischen Forscherin, magischen Wesen und einer verschneiten Kulisse im frühen 20. Jahrhundert irgendwo am Rand der Welt sehr vielversprechend klang. Auch wenn das Buch nicht ganz die locker-leichte Geschichte mit märchenhaftem Flair und einem Hauch Romantik bieten konnte, die ich mir erhofft hatte, hat mich Band 1 nach einem schwierigen Einstieg mit einem ganz besonderen Charme bezaubert, sodass ich im Anschluss direkt Band 2 lesen musste!Erster Satz: "Der Fuß passte nicht in meine Aktentasche, des-halb wickelte ich ihn in ein Tuch und stopfte ihn in den alten Rucksack, den ich manchmal bei meinen Expeditionen bei mir trage.¿Heather Fawcett setzt mit ihrer Handlung im September 1910 an, nachdem Emily und Wendell ihre Arbeit auf Ljösland abgeschlossen, auf einer Konferenz vorgestellt haben und nach Cambridge zurückgekehrt sind. Schon der erste Satz bereitet wieder auf eine exzentrische, aber ganz besondere Geschichte vor. Nachdem ich bei Band 1 zunächst Anfangsschwierigkeiten mit der Erzählweise und dem Erzählton überwinden musste, wusste ich bei Band 2 ja schon, was auf mich zukam. Hier wird ebenfalls wieder in der Form von Tagebucheinträgen in Emilys Forschungstagebuch erzählt, die teils größere Zeitsprünge enthalten und eher nacherzählen, als szenisch zu schildern. Auch wenn ich mich darauf dieses Mal gut einlassen konnte, bringt die ungewöhnliche Erzählweise genau wie in Band 1 einige Herausforderungen für das Pacing der Handlung mit sich. Genau wie ich es schon beim ersten Band kritisiert hatte, benötigt auch diese Fortsetzung eine Weile, um wirklich in Schwung zu kommen. Zwar ist mit dem Anschlag in Cambridge und einigen neuen Figuren von Beginn an mehr Zug hinter der Handlung, bis Emily und Wendell in den österreichischen Alpen ankommen und ihre Suche nach dem Nexus starten, gehen aber trotzdem wieder einige Seiten ins Land. Außerdem überschlagen sich später im Buch wiederum die Ereignisse, sodass zentrale Wendepunkte und Schlüsselszenen nur knapp in einem Eintrag abgespeist, statt sie wirklich auszukosten. Für dieses Ungleichgewicht im Handlungsaufbau, muss ich leider wieder etwas abziehen. Was allerdings nach wie vor großartig ist, ist Heather Fawcetts Schreibstil, der von der ersten Seite an die Atmosphäre des ersten Bandes anknüpfen kann. Ihre Sprache ist durchzogen von trockenem, eigenwilligem Humor, der durch Emilys nüchterne, wissenschaftlich geprägte Tagebuchstimme getragen wird. Durch den eher distanzierte Erzählton muss man zwar viele Gefühlsbeschreibungen und Beziehungsdynamiken zwischen den Zeilen lesen, dabei hilft aber sehr, dass wir die Figuren alle schon besser kennen. Denn wenn man sich erstmal in Emilys Gedankenwelt eingefunden hat, funktioniert das ganz wunderbar und man bekommt kaum genug von der Geschichte. Auch die zeitlichen Rahmenbedingungen der Geschichte rund um die 1910er Jahre sowie die akademische Welt rund um die Dryadologie konnte ich in diesem Band deutlich besser greifen - alles, was sich in Band 1 noch seltsam und nach Arbeit angefühlt hatte, war nun auf charmante Art und Weise schrullig - und hatte großen Spaß mit dem Setting. "Nachdem meine Enzyklopädie vollendet war, habe ich meine Aufmerksamkeit, wie Wendell weiß, einem anderen großen Projekt zugewandt - einem Atlas aller bekannten Feenreiche und ihrer Türen. Eine solche Kartensammlung kann nur Stückwerk bleiben - Feenreiche sind oft an bestimmte Orte in der Welt der Sterblichen gebunden, aber nur wenige von ihnen wurden ausreichend erforscht.¿Wunderbar weiterentwickelt hat die Autorin auch die Beschreibung der Feenwelt. Mit dem neuen Setting in den österreichischen Alpen, eröffnen sich ganz neue Erzählmöglichkeiten, die sie mit geheimnisvollen Feentüren, in der Zwischenwelt verirrten Wissenschaftlern, düsteren Baumfaunen, Fuchszwergen und der einem kurzen Ausflug in die faszinierenden Welt von Wendells Königreich voll auskostet. Zwar ist die Darstellung des Dorfes St. Liesl minimal klischeehaft, ich habe mich mit Emilys Team aber trotzdem gerne in die Alpen begeben. Nach wie vor sehr gelungen sind dabei die atmosphärischen Landschaftsbeschreibungen, die sich mit den fremdartigen, magisch-düsteren Feenreichen auf kunstvolle Art und Weise vermischen. Genau wie in Band 1 zeigt die Autorin dabei sehr viel Kreativität und Gespür für das Unheimliche, womit das Worldbuilding ein wenig an die Geschichten von Holly Black oder S. Jae-Jones erinnern. Denn - und das muss ich hier nochmal ausdrücklich wiederholen - die Einordnung der Reihe als "Cozy Fantasy" ist maximal irreführend. Auch wenn die Geschichte großteils eher gemütlich vor sich hinplätschert und durchaus ihre herzerwärmenden Momente hat, ist die Feenwelt weit davon entfernt, süß zu sein. Wer bei Titel und Genrebezeichnung an glitzernde Elfen denkt, die schillernd über bunte Wiesen taumeln, könnte nicht weiter von Heather Fawcetts Version der Feenwelt entfernt sein. Sie zeichnet hier ein exzentrisches Bild der Feenwelt mit komplizierten Regeln, beiläufiger Grausamkeit, verdrehter Schönheit, eiskalter Skrupellosigkeit und gefährlichen Abgründen. Eine faszinierende, wenn auch gewöhnungsbedürftige Mischung, über die man aber gerne noch mehr erfahren möchte. Besonders auf Wendells Königreich bin ich sehr gespannt und hoffe, dass wir in Band 3, "Emily Wildes Kompendium der verlorenen Geschichten" (erscheint im Juni 2025) mehr darüber erfahren. "Ich drehte mich um. Mehrere kleine fuchsähnliche Feen standen auf einem Baumstamm am Seeufer. Man hätte sie fast für kleine verkleidete Kinder halten können, wären da nicht das erschreckende Glitzern ihrer winzigen, nadelspitzen Zähne und ihre feuchten, vollkommen schwarzen Augen gewesen."Apropos faszinierend, wenn auch gewöhnungsbedürftig: Sprechen wir über die Hauptfigur Emily. Es hat in Band 1 zwar eine ganze Weile gebraucht, bis ich mit ihr warm geworden bin, aber ihre distanzierte, sachliche Art, ihr scharfer Verstand und ihr Hang dazu, sich aus wissenschaftlichem Eifer in Schwierigkeiten zu bringen machen sie zu einer interessanten Protagonistin, der ich nur zu gerne auf ein zweites Abenteuer gefolgt bin. Mit ihrer maximalen sozialen Inkompetenz und ihren Inselbegabungen könnte sie auf dem Autismus Spektrum liegen und ist damit der diametrale Gegenpart zum charismatischen Love Interest Bambleby Wendell. Die Dynamik zwischen den beiden ist schrullig, aber herzerwärmend, genau wie die Nebenfiguren wie beispielsweise der Brownie Poe, Emilys Begleiter Shadow, ihre Nichte Ariadne oder Dekan Rose. Am Ende fand ich es dann sehr schade, alle so schnell wieder zurücklassen zu müssen und warte nun gespannt auf den dritten Teil, der ja zum Glück bald erscheinen wird. "Vor mir lag eine Welt der Gefahren, der scharfen Kanten und tiefen Schatten, und ich mochte über umfangreiches Wissen verfügen, aber ich war eine Sterbliche ohne einen Hauch von Magie, die mir den Weg weisen konnte."Fazit"Emily Wildes Atlas der Anderswelten" überzeugt erneut mit einem atmosphärisch dichten Setting, originellem Worldbuilding und eigenwilligem Humor. Auch wenn die Erzählform und das Pacing weiterhin kleinere Schwächen mit sich bringen, begibt man sich gerne mit Heather Fawcett auf eine weitere faszinierende Reise in die unheimlich-schöne Welt der Feen.