Besprechung vom 05.11.2024
Es kann nicht die Lösung sein, einfach mal Milliarden Bäume zu pflanzen
Natur- und Klimaschutz müssen zusammengedacht werden: Bernhard Kegel zeigt, welche Rolle unterschiedliche Ökosysteme für den Kampf gegen die Erderwärmung spielen.
Im internationalen Klimaschutz war die Natur lange außen vor. Umweltschutzorganisationen witterten hinter Versuchen, die CO2-Speicherung von Wäldern oder Mooren in die Kohlenstoffbilanzen einzubeziehen, den Versuch, von industriellen Emissionen aus Kohlekraftwerken und Autos abzulenken. Doch das ändert sich nun. Seit klar ist, dass die CO2-Emissionen nicht nur auf null sinken müssen, sondern es darum geht, der Atmosphäre das Treibhausgas wieder zu entziehen, sind "naturbasierte Lösungen" im Aufschwung.
Der Biologe Bernhard Kegel beschreibt in seinem Buch "Mit Pflanzen die Welt retten", worum es geht. Er legt dar, welche positive Rolle die Natur beim Klimaschutz spielen kann und wo die Grenzen liegen. In lebendiger Sprache beschreibt er auch, wie der Schutz von Lebensräumen wie Mooren, Mangroven und alten Wäldern viel mehr leistet, als Kohlenstoff zu speichern, nämlich dazu beiträgt, uns Menschen Trinkwasser und Nahrung zu liefern - und der Vielfalt der Arten ein sicheres Zuhause zu geben.
"Grüne Lösungen gegen den Klimawandel" lautet der Untertitel des Buchs. Kegel beginnt mit der unvermeidlichen Warnung, wie ernst die Lage ist. Menschheit und Erde steuerten in rasendem Tempo in eine Zeit von Hitzewellen und Dürren, die unsere Lebensgrundlagen überfordern könnten. Er arbeitet heraus, was viele Politiker zu ignorieren scheinen - dass einmal erreichte Temperaturerhöhungen auf unabsehbare Zeit bleiben, selbst wenn die Emissionen gegen null gehen. "Je länger der Ausstieg aus fossiler Energie auf sich warten lässt, desto höher liegt das Temperaturniveau, mit dem sich alle Lebewesen der Erde arrangieren müssen", mahnt Kegel, bevor er als Grundlage weiterer Betrachtungen zu einer anschaulichen Erkundung ausholt, die in den meisten Klimabüchern fehlt: wie nämlich das Element Kohlenstoff in schnellen, langsamen und erdgeschichtlichen Rhythmen durch die Natur kreist und was es auch ökologisch heißt, wenn Lebensräume als Speicher des Elements zunehmend schlappmachen.
Gekonnt räumt der Autor mit einer von sogenannten "Klimawandelskeptikern" gerne verbreiteten Behauptung auf: dass CO2 als Dünger für Pflanzen wirke und eine Zunahme zu begrüßen sei, da die Welt doch nachweislich grüner werde. Kegel legt dar, dass dieses "greening" zu einem erheblichen Teil auf die Ausweitung landwirtschaftlicher Nutzflächen zurückzuführen ist und mit einer höheren Verdunstung von Wasser einhergeht, was für bereits trockene Regionen riskant sein kann: "So erfreulich die den Klimawandel abschwächende Wirkung der CO2-Düngung ist - es spricht einiges dafür, dass dieser Effekt zunehmend an seine Grenzen stößt." Zudem nütze eine solche Düngung bei Nutzpflanzen wenig, da in den Blättern und Früchten Proteine und Vitamine fehlten.
Ähnlich differenziert packt Kegel die drei Lebensräume Wälder, Moore und Meere an, für die er die in der internationalen Umweltpolitik so fahrlässig übersehene Formel "Klimaschutz beginnt beim Naturschutz" einführt und fordert: "Natur- und Klimaschutz müssen zusammengedacht werden." Die größte Priorität sieht er darin, noch bestehende alte Lebensräume konsequent zu erhalten, damit der in ihnen gespeicherte Kohlenstoff nicht als CO2 in die Atmosphäre gelangt.
Deutlich kritischer betrachtet Kegel Pläne, riesige Flächen aufzuforsten oder, wie es die EU vorhat, bis 2030 einfach mal eine Milliarde Bäume zu pflanzen. Denn dabei kann viel schiefgehen: In nördlichen Gefilden verdunkeln neue Wälder die Erdoberfläche, sodass weniger Sonnenstrahlen zurück ins All reflektiert werden. Und viele offene Landschaften, die für Plantagen ausgesucht werden, seien bereits jetzt hervorragende Kohlenstoffspeicher und würden durch Anpflanzungen nur ökologisch Schaden nehmen. Besser, als natürliche Offenlandschaften zu bepflanzen, sei es, Wälder dort wiederauferstehen zu lassen, wo sie in jüngerer Zeit kahlgeschlagen wurden. Wichtig sei auch, bei Waldprojekten nur auf Arten zu setzen, die dem Klima der Zukunft gewachsen seien.
Im Kapitel über Moore singt Kegel zu Recht das hohe Lied auf einen Lebensraum, der nur drei bis vier Prozent der Landfläche bedeckt, aber in seinen tiefen Torfböden fast doppelt so viel Kohlenstoff speichert wie alle Wälder des Planeten zusammengenommen. Hier beschreibt der Autor vor allem deutsche Initiativen, austrocknende Moorböden wieder so nass zu machen, dass sie sich nicht mehr in Kohlendioxid zerlegen. Er war vor Ort und hat sich Projekte angeschaut. "Wehre schließen, Gräben zuschütten, Dämme einreißen, Rohre entfernen, Pumpen abschalten, Spundwände versetzen oder zurückbauen - das Moor füllt sich dann ganz von allein", schreibt der Autor und weiß, wie beunruhigend das in den Ohren vieler Landwirte klingt. 40 Millionen Tonnen CO2-Emissionen ließen sich mit Moorschutz allein in Deutschland einsparen, das ist mehr, als manche emissionsintensive Industrie für den Klimaschutz leisten kann. Doch das werde nur gelingen, wenn Landwirte dabei eingebunden würden und am Moorschutz verdienen könnten, sagt Kegel.
Nach der Erkundung von Klimaschutzpotentialen von Mangroven, Seegräsern und Algen wird klar: Die wichtigste Strategie für den Klimaschutz ist es, bestehende Lebensräume zu erhalten. Denn was einmal zerstört ist, lässt sich nur mit riesigem Aufwand wiederherstellen, und es dauert mitunter sehr lange, bis neu geschaffene Lebensräume Kohlenstoff in großen Mengen aus der Atmosphäre nehmen.
Etwas fremd, ja angeklebt wirkt das letzte Kapitel des Buches über "künstliche Photosynthese", also im Labor erzeugte blattartige Strukturen. In Form von Solarzellen existiert so etwas schon, aber die Forschungsarbeiten zu noch futuristischeren Ansätzen sind in einem so frühen Stadium, dass sich ein Klimaschutzpotential überhaupt nicht abschätzen lässt. Passender und interessanter wäre es gewesen, an dieser Stelle zwei Reizthemen zu erkunden: Erstens, welche Beiträge eine regenerative Landwirtschaft, etwa die Permakultur, oder zum Beispiel die immer wieder bekämpfte Begrünung von Straßen leisten kann. Und zweitens, ob Methoden der Gentechnik in der Landwirtschaft beim Klimaschutz und der ebenso wichtigen Anpassung an heißere Zeiten helfen können, zum Beispiel durch hitzeresistente Sorten oder durch effizientere Kohlenstoffspeicherung.
"Mit Pflanzen die Welt retten" erscheint zur richtigen Zeit, denn in der internationalen Umweltpolitik vollzieht sich momentan eine Neubesinnung, die berücksichtigt, dass sich Klima- und Naturschutz nicht voneinander trennen lassen. Die Angst des Autors, seine Darstellung von natürlichen Klimaschutzpotentialen werde Menschen darauf bringen, zu denken, dass Pflanzen die mit dem Klimawandel zusammenhängenden Probleme schon für uns regeln werden und wir uns zurücklehnen und weitermachen können wie bisher, ist dabei unbegründet. Wer das Buch genau liest, lernt schnell, dass alle Wege der CO2-Reduktion beschritten werden müssen. CHRISTIAN SCHWÄGERL
Bernhard Kegel: "Mit Pflanzen die Welt retten". Grüne Lösungen gegen den Klimawandel.
Dumont Verlag, Köln 2024. 288 S., geb.
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