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Besprechung vom 26.05.2025
Woher unser Essen kommt
Fakten-Report über das globale Ernährungssystem
Vom Cover lockt appetitlichst ein Double-Chicken-Burger. Der üppige Kalorienbomber deckt ein Drittel des heutigen Nahrungsbedarfs pro Tag, schreibt Vaclav Smil in seinem von Stammleser Bill Gates angeregten, soeben ins Deutsche übersetzten Buch "How to Feed the World". Es ist das dritte seit 2022 aus dem gleichen Münchner Verlag und eines von mehr als 40 insgesamt erschienenen. Der kanadisch-tschechische Professor für Umweltwissenschaften an der Universität Manitoba in Winnipeg beschäftigt sich seit Langem interdisziplinär mit Fragen von Energie, Bevölkerung und Landwirtschaft. Smils jüngster Blick auf Geschichte und Gegenwart unserer Ernährung versteht sich als weit ausholender "Fakten-Guide" zu den biophysischen Faktoren und Erfahrungssystemen menschlicher Nahrungserzeugung. Den studierten Naturwissenschaftler irritiert, dass Lebensmittel heute im öffentlichen Bewusstsein unterschätzt und in großem Umfang verschwendet werden und dass Smartphones nicht nur in Statistiken als ökonomisch bedeutsamer gelten.
Smil beginnt sein Buch mit dem Hinweis, dass noch nie so viele Menschen auf der Welt mit Nahrung versorgt werden mussten wie heute. Ein Problem, das schon Thomas Robert Malthus 1786 für kaum lösbar hielt. Es macht mit zunehmender Weltbevölkerung bis heute Angst. Auch Smil sieht keine sensationellen Innovationen, die bald die Ernährungsweise der Menschheit revolutionieren könnten. Aber er vertraut auf die Wirkungsmacht schrittweiser Veränderungen und die Überzeugungskraft realer, aktueller Zahlen: "Sie sind die beste Medizin gegen Wunschdenken."
In Smils acht Großkapiteln über grundlegende Zusammenhänge globaler Ernährung wimmelt es von oft verblüffenden Zahlen. In der ersten Buchhälfte widmet er sich der Erzeugung von Ackerfrüchten und der Tierdomestikation. An den niedrigen Zahlen-Obergrenzen der frühen Bevölkerungsdichte auf der Erde demonstriert er die beschränkte Energieausbeute der prähistorischen Nahrungsbeschaffung von Jägern und Sammlern. Erst die Kultivierung von Nährpflanzen und die Domestizierung von Nutztieren über Jahrtausende habe ortsfest Ackerbau und Viehzucht ermöglicht, die den menschlichen Speisezettel auf eine sichere Grundlage stellten. Immer effizientere Landwirtschaft vervielfachte die Weltbevölkerung in 12.000 Jahren von ein paar Millionen auf acht Milliarden Menschen. Vor allem den Getreide-Anbau sieht Smil als "primäres energetisches Fundament menschlicher Zivilisation". Die Kultivierung von Feldfrüchten gilt für ihn weiterhin vorrangig als "unsere einzige Option" hinsichtlich des Bevölkerungswachstums.
Lediglich 20 Pflanzenarten, darunter Getreide, Reis und Mais, liefern dabei 75 Prozent der landwirtschaftlichen Erträge weltweit. "Im menschlichen Langzeit-Experiment" haben sie sich zu Grundnahrungsmitteln entwickelt, weil sie ertragreich, bekömmlich und lagerfähig sind, dazu höchste Energiedichte für menschliches Essen mitbringen. Das historisch bewährte Anbau-Repertoire lässt sich offenbar wegen der biophysikalischen Bedingungen von Photosynthese für das Pflanzenwachstum kaum ausweiten, wie Smil im dritten Kapitel darlegt.
Pflanzen spielen auch für die Viehhaltung eine entscheidende Rolle. Warum wir bestimmte Tiere für unseren Nahrungsbedarf züchten, andere nicht, hängt von deren Futterbedarf, aber auch von ihrer Größe, Aufwuchszeit und dem Fleischertrag ab. Die Nutztierhaltung begann vor 11.000 Jahren mit Ziegen und Schafen. Es folgten Schweine, Rinder und Pferde. Heute kommt das meiste verzehrte Fleisch von Rind, Schwein und Huhn. Am wenigsten optimal liefert das Rind. Denn bis zur Schlachtreife verschlingt es zehnmal so viel Nahrungsmenge je Einheit essbares Fleisch wie ein Huhn. Der Massenkonsum hat zur Turbo-Mast in riesigen, geschlossenen Industrie-Fütterungsstationen mit Tausenden von Tieren geführt.
Soll man unter solchen Umständen überhaupt noch Tiere essen? Smils Antwort: "Es ist aus evolutionärer Perspektive nicht gerechtfertigt, die Domestizierung von Tieren als moralischen Irrweg oder den Genuss von Speisen tierischen Ursprungs als verabscheuungswürdig zu verurteilen." Wichtiger scheint, die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, und das unter Minderung der Umweltfolgen. Im letzten Drittel seines Buches skizziert Smil, was sich dafür in kleinen Schritten an der Landwirtschaft verbessern ließe. Noch mehr Nahrungspotential verspricht er sich allerdings von Maßnahmen gegen die enorme Verschwendung von Lebensmitteln im Alltag sowie einer Mäßigung beim Fleischverzehr und dabei dem Wechsel vom Rind zum energieeffizienten Huhn.
Smil ist überzeugt: "Essen gibt es mehr als genug. In den reichen Ländern stehen den Einwohnern heute täglich rund 3500 Kalorien zur Verfügung. Ein durchschnittlicher Mensch verbraucht am Tag bloß zwischen 2000 und 2500 Kalorien . . . Menschen hungern nicht, weil es zu wenig Nahrung gibt, sondern weil sie keinen Zugang haben."
Dass die Menschen in vielen Ländern immer dicker und diabetesgefährdeter werden, hält Smil für eine Folge von exzessivem Essverhalten. "Wir werden nicht dick, weil wir das Falsche essen, sondern weil wir zu viel essen", sagt er. ULLA FÖLSING
Vaclav Smil: Wie die Ernährung der Welt wirklich funktioniert, C.H.Beck, München 2025, 288 Seiten
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