»Milles künstlerische Unabhängigkeit, politische Klarheit und das konsequente Verfolgen seiner musikalischen Vision fand ich immer bemerkenswert. « Campino
Ruhrgebiet, in den Siebzigerjahren: Mille Petrozza wächst als Sohn einer Malocherfamilie im Essener Stadtteil Altenessen auf. Die Mutter DDR-Geflüchtete, der Vater Gastarbeiter aus Kalabrien, er arbeitet unter Tage. Im multikulturellen Schmelztiegel des Potts treffen die Subkulturen der damaligen Zeit auf strukturellen Wandel: Zechensterben, Gewalt, Alkoholismus, Pattexschnüffeln. Heavy Metal kracht da einfach so rein: Nach einem Kiss-Konzert wird Mille Teil einer international vernetzten Graswurzelbewegung. Durch Heavy Metal emanzipiert er sich von den saufenden Jugendgangs. Die erste Gitarre verleiht ihm Superkräfte: Mit seiner Band Kreator wird Mille ungeplant zum internationalen Thrash-Metal-Star. In seiner Autobiografie erzählt Mille Petrozza zum ersten Mal die unglaubliche Geschichte seiner frühen Jahre, wie seine Mutter den ersten Plattenvertrag unterzeichnete und danach aus einer Heavy-Metal-Clique im Ruhrpott eine der international bedeutendsten und langlebigsten Thrash-Metal-Bands überhaupt wurde.
»Milles Reise von den Anfängen in Essen bis zum Thron des weltweiten Thrash Metal ist beeindruckend und inspirierend. Ein Muss, nicht nur für Metal-Fans! « Doro Pesch
»Ich liebe diesen Mann. « Dirk von Lowtzow, Tocotronic
Besprechung vom 31.08.2025
Auf jeden Fall alles harter Ruhrpott-Style
In seiner Autobiographie erzählt Mille Petrozza, Frontmann der Band Kreator, wie er als Gastarbeitersohn aus Essen die Welt des Heavy Metals eroberte.
Von Daniel Stähr
Es gibt zwei Arten von Autobiographien. Die eine erzählt einem etwas über Prominente, für die man sich schon immer interessiert hat. Die andere kann einem Personen näherbringen und die Welt, in der sie leben und von deren Existenz man vielleicht nur am Rande wusste. "Your Heaven, My Hell" des deutschen Metal-Musikers Miland "Mille" Petrozza zählt für die meisten wohl zur zweiten Kategorie. Man muss kein Metal-Fan sein, um Gefallen an diesem Buch zu finden, weil es mehr ist als die bloße Geschichte einer Band und ihrer Szene: eine Sozialstudie über die Jugendkultur des Ruhrpotts zu Bergbauzeiten und das Porträt eines Milieus, das große Kunst und Musiker hervorgebracht hat - so wie Petrozza, Gitarrist und Sänger der 1983 gegründeten Band Kreator.
Mit über zwei Millionen verkauften Alben zählt Kreator heute zu den erfolgreichsten Metal-Bands des Landes, landete 2017 erstmals auf Platz eins der deutschen Albumcharts und veröffentlichte zwei Platten, "Pleasure to Kill" (1986) und "Extreme Aggression" (1989), die weltweit verehrt werden. Jetzt hat der Bandgründer, Gitarrist und Sänger Petrozza mit dem Musikjournalisten Torsten Groß also seine Autobiographie geschrieben, in der er auf die Anfänge zurückschaut. Thrash Metal, in den frühen Achtzigerjahren entstanden, verband Elemente des Hardcore-Punk mit dem Sound klassischer Heavy-Metal-Bands wie Judas Priest und Iron Maiden; er war schneller, härter und rhythmusgetriebener als alles, was es bis dahin gab. Seit in der Netflix-Serie "Dark" ein Song von Kreator eine prominente Rolle spielte, wurde eine neue Generation auf die Band aufmerksam.
Petrozza wurde 1967 als Sohn eines italienischen Gastarbeiters und einer DDR-Flüchtigen in Essen geboren - und wuchs wortwörtlich in einem Haushalt auf, in dem seine Eltern keine gemeinsame Sprache hatten: Der Vater konnte kaum Deutsch, die Mutter kein Italienisch. Auf den ersten Blick vielleicht eine ungewöhnliche Familienkonstellation, aber sie war typisch für das Leben im Ruhrpott der damaligen Zeit - und sie dient Petrozza dazu, die Widersprüche seiner Jugend zu veranschaulichen. In "Your Heaven, My Hell" beschreibt er eine Gesellschaft im Schatten der Zechen, in der Diversität selbstverständlich gelebt wurde, während sich zugleich Gewalt und Verzweiflung überall zeigten. Diese Ambivalenzen ziehen sich bis ins Familiäre: Petrozzas Eltern waren zwar liebevoll und unterstützten früh seine Ambitionen als Musiker, taten ihm aber auch Gewalt an. Im Buch spielt er das in vermeintlich lustigen Anekdoten herunter - etwa wenn er erzählt, wie er als Kind vom Vater mit einem getrockneten Ochsenpenis verprügelt wird.
Solche Widersprüche gehören zu den Motiven in Petrozzas Kindheitserzählungen, Schicksalsschläge sind selbstverständlich Teil des Alltags. Das spurlose Verschwinden eines Onkels nach dem Tod der Oma kommentiert er lapidar: "Das war auf jeden Fall alles harter Ruhrpott-Style damals bei uns." Der Absturz enger Freunde in die Drogensucht, der Alkoholismus in der Familie, der Tod des Bruders kurz nach dessen Geburt - all das wird in ähnlichem Ton geschildert wie die kindlichen "Bandenkriege" auf den Spielplätzen der Zechensiedlung oder Probleme in der Schule. Gewalt und Verlust, so wirkt es, gehören zur Ruhrpott-Identität. Und die Erzählweise, in der Tragik und Komik Hand in Hand gehen, wirkt, beabsichtigt oder nicht, bedrückend. Petrozzas Autobiographie ist da am stärksten, wo er ganz ohne Kitsch ein vielschichtiges Porträt seiner Jugend zeichnet.
Dass er kein großer Stilist ist, stört bei seinem Buch, das keine große Literatur sein will, nicht, meistens jedenfalls nicht. Denn es gib Momente, in denen der kumpelhafte Ton ins unfreiwillig Komische kippt, vor allem in den Dialogen. Zum Beispiel wird Petrozza zu Beginn seiner Karriere von der Schweizer Band Celtic Frost gefragt, ob er nicht lieber dort einsteigen wolle; das Gespräch schildert er so, dass es eher nach schlechtem Laientheater klingt als nach zwei jungen Musikern: "Mille, pass mal auf. Ich will, dass du bei mir in der Band spielst." - "Alter, ich kann jetzt nicht, ich habe hier gerade 'Pleasure to Kill' fertiggestellt, wir gehen auf Tour, bei uns ist richtig viel los."
Der rasante Aufstieg Kreators, der auf die Essener Jugend folgt, ist dann in recht typischer Bandbiographie-Manier erzählt: Von der Gründung mit seinen Kindheitsfreunden Jürgen "Ventor" Reil (Schlagzeug) und Rob Fioretti (Bass) in den frühen Achtzigern über den ersten Plattenvertrag nach gerade einmal drei gespielten Konzerten bis zum endgültigen Durchbruch und einer ersten großen Nordamerikatour 1987 folgt der Text bekannten Mustern. Spannend wird es vor allem, wenn Petrozza den Blick auf die musikalischen Strukturen ihrer Zeit richtet: wenn er etwa aus der Jugendclubkultur berichtet, Nährboden für Kreators musikalische Entwicklung. Oder aus der sogenannten Tape-Trader-Szene, zu der Petrozza gehörte und in der Fans aus aller Welt sich gegenseitig Musikkassetten schickten. Petrozza lernte so den Brasilianer Max Cavalera kennen - lange bevor der mit seiner Band Sepultura berühmt wurde.
Es gibt in "Your Heaven, My Hell" viele solcher Anekdoten. Eine der interessantesten schildert Petrozzas Freundschaft zu Øystein "Euronymous" Aarseth, Gitarrist der norwegischen Black-Metal-Band Mayhem. Als er Aarseth 1987 kennenlernte, war noch nicht absehbar, dass die Norweger zu einer der berüchtigtsten Bands der Welt werden sollten. Bevor Mayhem in Norwegen Kirchen in Brand steckte, war es Euronymous, der Petrozza die Musik von Kate Bush zeigte. Als Varg Vikernes 1993 seinen Bandkollegen Euronymous ermordete, musste Petrozza zwei Schocks verdauen: den Verlust eines alten Freundes - und dass Vikernes am Tag der Tat ein Kreator-Sweatshirt trug.
Kreator wurde groß in der goldenen Zeit des Heavy Metals. Ihren kommerziellen Höhepunkt erreichte die Band 1991, als Metallica ihr "Black Album" herausbrachten, und Petrozzas Autobiographie ist auch ein Porträt dieser Ära. Die Identitätskrisen, die in den Neunzigern die gesamte Szene erfassten, werden aber nur angedeutet. Warum etwa Ventor Reil, der die Band mitgegründet hatte, sie 1994 für zwei Jahre verließ, sicherlich eine der größten Zäsuren in der Geschichte von Kreator, findet keinen Platz, ebenso wenig die Entstehung der heute eher unpopulären Kreator-Alben der späten Neunzigerjahre, die eine Band auf Sinnsuche zeigen. So wirkt das Buch wie ein Thrash-Metal-Bildungsroman, der die Adoleszenz des Genres entlang von Petrozzas eigener erzählt, das harte Ankommen in der Realität der Erwachsenenwelt aber ausspart.
Was "Your Heaven, My Hell" dann aber doch äußerst lesenswert macht, das ist Petrozzas klare politische Haltung. Die Misogynie der großen Glamrock-Bands jener Zeit verurteilt er entschieden und beschreibt auch, welchen Einfluss die Auftritte Kreators in Anti-Nazi-Shirts in ostdeutschen Städten nach dem rassistischen Pogrom in Rostock-Lichtenhagen hatten. Dass diese Konzerte damals jüngere Bands wie die Thüringer Metal-Band Heaven Shall Burn dazu inspiriert hätten, Antifaschismus zum zentralen Teil ihrer Musik zu machen, bedeute ihm bis heute eine Menge, schreibt Petrozza. Gleichzeitig reflektiert er eigene Unzulänglichkeiten und gesteht ein, wie anstrengend er in manchen Phasen für sein Umfeld gewesen sein muss.
Der Untertitel - "Wie Heavy Metal mich gerettet hat" - klingt wie ein Klischee. Petrozza lässt man seine Sentimentalität aber durchgehen, weil sie nie zur Pose verkommt. Immer wieder ringt er mit der Frage, was ohne Musik aus ihm geworden wäre. Erinnert an die vielen Jugendfreunde, die den Drogen zum Opfer fielen oder kriminell wurden. Und überlegt, wie leicht auch ihn dieses Schicksal hätte ereilen können. Ganz am Anfang blitzt aber doch eine Alternative auf: "Ohne die Musik hätte ich vielleicht im sozialen Bereich gearbeitet, das hat mich immer interessiert, Leute wie Gitti und Gerd waren Vorbilder für mich." So hießen die Sozialarbeiter, die Kreators ersten Proberaum organisierten. Hier spricht niemand, der versucht, ein Image als harter Rockstar zu konservieren, wie es etwa Lemmy Kilmister, der Sänger von Motörhead, in seiner Autobiographie "White Line Fever" (2002) getan hat.
Vielmehr zeigt das Buch einen Menschen, der sich ehrlich über sein eigenes Leben wundert und sich fragt, wie vier Teenager aus dem Pott eine Band gründen konnten, die es in den legendären Konzertsaal Hollywood Palladium in Los Angeles schaffte. Das macht "My Heaven, Your Hell" zu einer eindrücklichen Schilderung deutscher Musikgeschichte. Petrozzas Buch wirkt wie die erste Tour, die Kreator 1986 noch als Teenager spielten: "Wir klangen live immer noch etwas rumpelig. Aber wir lösten extreme Publikumsreaktionen aus."
Mille Petrozza mit Torsten Groß, "Your Heaven, My Hell. Wie Heavy Metal mich gerettet hat". Ullstein, 336 Seiten, 22,99 Euro. Der Dokumentarfilm "Kreator - Hate & Hope" kommt Donnerstag ins Kino.
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