Auf den dritten Band des Jahreszeiten-Quartetts habe ich mich außerordentlich gefreut!
Was hauptsächlich damit zusammenhängt, dass Lisa Aisato zu meinen absoluten Lieblings-Illustrator*innen gehört. Aber auch die traurig-schönen Geschichten von Maja Lunde gehen ans Herz.
Die Bände sind unabhängig voneinander zu lesen und in sich abgeschlossene Geschichten, mit unterschiedlichen Figuren und Schauplätzen. Jedes Buch spielt zu einer anderen Jahreszeit.
In "Die Windmacherin" befinden wir uns im Sommer:
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(C. N.: u. a. Krieg & Zerstörung, Trauma, Hunger, Heimweh)
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INHALT:
Die Stadt ist zerstört, die Häuser sind zerbombt, alles liegt in Schutt und Asche und erinnert noch immer an den Krieg, der endlich vorbei ist. Sie haben nicht viel zu essen, auf dem Land soll es mehr geben, sagt man.
Zur Erholung wird Tobias, wie viele andere Kinder auch, von seinen Eltern für zwei Monate über den Sommer aufs Land geschickt, nach Wetterland.
Eigentlich hat Tobias keine Lust und Heimweh hat er auch.
Aber als er dann die schöne Landschaft sieht - die saftig grünen Wiesen und Bäume, weite Wälder, die hübschen Häuser, die Strände, das unendlich weite, blaue Meer - da stellt er fest, wie sehr ihm das alles gefehlt hat.
Er hört die Wellen schlagen, die Möwen schreien und das Rauschen des Windes. Er atmet frische, staublose Luft.
"Doch, Mama hatte recht. Der Sommer könnte wirklich gut werden. Ich müsste nicht mehr jeden Abend mit knurrendem Magen ins Bett, der laut nach Essen schrie, und ich wäre weg aus dieser Stadt, weg von all dem Kaputten, Schrecklichen, das mich ständig an den Krieg erinnerte."
"Und das Allerbeste: Hier war kein einziges ausgebombtes Haus zu sehen, hier gab es keinen Staub, keinen Rauch und keine Asche.
Wetterland, ich mag dich, dachte ich beim Gehen. Und es war lange, lange her, seit ich zuletzt gedacht hatte, dass ich einen Ort mochte. Denn alle Orte, die mir in der Stadt etwas bedeutet hatten, waren nicht mehr da."
Tobias soll bei der Fischerin Lothe unterkommen, die in einem kleinen Haus an den steilen Klippen lebt und den Besuch erst einmal vergisst. Absichtlich, wie sich herausstellt, denn Lothe wollte eigentlich gar kein Kind bei sich aufnehmen. Sie ist es gewohnt, allein ihrer Arbeit nachzugehen.
So lässt ihre Begeisterung zu wünschen übrig. Neugierige Kinder kann sie gar nicht leiden.
Schließlich versuchen sie es doch miteinander, weil sie müssen.
Ob Tobias Lothe noch aus der Reserve locken kann?
Und was hat es mit dem verschlossenen Raum in ihrem Haus auf sich, in dem Tobias geheimnisvolle Kinderzeichnungen entdeckt, die ihn schließlich zu einem noch viel größeren Rätsel um eine vergangene Kinderfreundschaft führen werden?
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MEINUNG:
Ich weiß gar nicht, wie ich mein Leseerlebnis in Worte fassen soll.
Wenn es darum geht, was ein Kind Traumatisches im Krieg erlebt hat und wie sehr es immer noch an den Erinnerungen und Auswirkungen leidet - da kann es einem schon mal den Hals zuschnüren. Kein Kind sollte so aufwachsen müssen.
Bei einem Buch, welches von außen an ein freundliches Kinder- oder Jugendbuch erinnert, hätte ich so eine Tiefe und ein so trauriges Thema gar nicht unbedingt erwartet.
Daher fällt mir hier auch die Altersempfehlung nicht einfach. Die vorherigen Bände würde ich ab 10 Jahren einsetzen, den hiesigen Titel jedoch später, eher bei Jugendlichen und Erwachsenen und ich würde individuell schauen.
Hat man selbst nie einen Krieg miterlebt, kann man sich das gar nicht vorstellen, wie es ist, wenn die Heimat und alles, was man kannte und hatte, plötzlich in Schutt und Asche liegt.
Es war berührend, wie sich Tobias auf seiner Reise an der grünen Landschaft kaum sattsehen konnte, was für viele von uns eine Selbstverständlichkeit darstellt. Endlich konnte er wieder frische Luft atmen. Und es war keine Zerstörung da, die an all die vergangenen Schrecken erinnerte.
Dennoch holen Geräusche und Gerüche grausame Erinnerungen in Tobias hervor und versetzen ihn wieder in die Kriegszeit zurück.
Auf mich wirkte die Darstellung sehr authentisch und bewegend geschildert.
Man wünscht Tobias einfach nur einen schönen, unbeschwerten Sommer, in dem er auf andere Gedanken kommen kann.
Doch erst einmal kommt alles anders.
Die mürrische Fischerin Lothe, die ihn auf der Insel eigentlich gar nicht bei sich wohnen lassen möchte, erinnert sehr an den Alm-Öhi bei "Heidi". Ich hatte großes Mitgefühl mit Tobias.
Doch der Junge schlägt sich wacker.
Ich mochte, wie sich die Geschichte und die Figuren nach und nach weiterentwickelten.
Neben den traurigen und schweren Themen (die hier deutlich überwiegen!), gibt es zwischendurch auch kleine geheimnisvolle, zauberhafte, spannende und fantasievolle Momente. Und gegen Ende schimmert sogar ein wenig Hoffnung durch die Seiten.
Neben Themen wie Krieg, Trauma und Heimweh, spielen zudem Freundschaft, Streit und Versöhnung eine Rolle in der Geschichte.
Man wird wieder daran erinnert, dass das, was wir haben, für zahlreiche Menschen auf der Welt nicht selbstverständlich ist (z. B. Frieden, ein Zuhause, Essen, Freundschaft, grüne Landschaften ohne Zerstörung, etc.) und dass wir es viel mehr schätzen sollten.
Die wundervollen, stark gefühlsbetonten Illustrationen von Lisa Aisato unterstützen die Handlung gekonnt und lassen sie regelrecht lebendig werden. Vor meinen Augen entstand ein ganzer Film.
Zusammen mit der bewegenden Geschichte machen sie das Buch für mich zu einem absoluten Meisterwerk!
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FAZIT: Ein äußerst bewegendes, starkes, traurig-schönes Buch, welches mich mit Worten und Bildern tief beeindrucken konnte. So sehr, dass ich danach erst einmal sprachlos war.
Für mich ist es der bisher stärkste und berührendste Band der Reihe und ein absolutes Jahreshighlight! 5/5 Sterne!