
»Denn heute ist der Tag, an dem das Zeitalter des reinen Pop begonnen hat. Das Zeitalter des reinen Kapitalismus. Der reinen Performance. Und Performance kennt keine Beißhemmung und keine Moral. Moral hat eine Erinnerung. Das hier aber ist die reine Zukunft. Und die Zukunft kennt keine Regeln, sie kennt nur Erfolg. «
PeterLicht stellt sich den Zumutungen des täglichen Lebens, der grundsätzlichen Un-/Okayheit der Welt, den Mini-Katastrophen und Mega-Details. Er entwirft Welterklärungsmodelle und produziert ein langanhaltendes Kopfkino der Realität. Poetisch, grotesk, tiefgründig und liebevoll. Was wir ja wissen: Wo die Realität regiert, hat
das Absurde Konjunktur.
Alles ist unsicher und ungewiss, nur das eine nicht: Wir werden alle ganz schön viel ausgehalten haben müssen.
Besprechung vom 25.11.2025
Ich gehe, also bin ich (irgendwo)
Ballade von der Entdeckung der Kraft der Depression: PeterLicht erzählt klug und witzig vom Durchwurschteln - hehre Befreiungsflapsologie
"Dann werden wir eben siegen", sang (und schrieb) PeterLicht vor zwei Jahrzehnten gegen den Kapitalismus an: "Wir werden siegen. Wir werden siegen. Wir werden siegen." Nun, hat man gesiegt? Noch nicht so ganz vielleicht. Jetzt heißt es in schönster Jens-Spahn-Verschwurbelung: "Wir werden alle ganz schön viel ausgehalten haben müssen." Doch obwohl sich das wie ein Widerruf anhören mag, wie ein Kapitulations-Derivat, ist es doch alles andere als das: Nur die Form der Kampfansage hat gewechselt, ist mit seinem Verfasser durch die Midlife Crisis gegangen. Kurz sah es so aus, als kämen die Selbst- und Weltzweifel einfach so davon, aber nun presst der Autor ihnen mit poetisch-rhetorischem Aufwand und rheinischer Flapsigkeit etwas Ersprießliches ab, etwas grundlegend Affirmatives sogar.
In aller Kürze geht das zwischen Gedankengirlanden fast versteckte Argument so: Je tiefer man ins Dunkel hineingeht, in die Träume zwischen Fallen und Schweben, ins Gelächter des Kapitalismus über die Scheiternden, in die alles einfärbende Melancholie also, desto fester wird erstaunlicherweise der Grund. "Und das Tolle an Schmerzen", heißt es einmal in einer Art Kurzschluss aus Descartes und Heidegger, "ist das Sein im Hier und Jetzt." Die Dimension der Gegenwärtigkeit nobilitiert das Leid: "Das wird wohl der Sinn sein: dass wir alle DA sind. Und zusammenkommen. Im Schmerz." Die Depression erscheint so gar als "politische Haltung". Eine "depressive Revolution" löse die sexuelle ab: "Nach der Energie der Verbindung kommt die Energie der Trennung."
Darum geht es PeterLicht in seinem gesamten heiter-melancholischen Schaffen: um die Abspaltung, Umlenkung und Versonnendeckung dieser dunklen Urenergie. "Versüßung" heißt das hier als Gegenbegriff zur Verbitterung. Dieser nicht unbedingt buddhistische, in seiner Angriffslustigkeit eher schon antitheologische Befreiungsgedanke steckt in all seinen Liedern und Texten, aber so direkt und ungeschützt wie im neuen Band kam er noch nicht zum Ausdruck.
Es sind auch wieder viele pointierte Minisatiren über den endverbraucherkonformen Alltag enthalten, über blinkende Stand-by-Geräte, anschwellendes Urlaubsgepäck, luftige Nahrung (Hirsebällchen), Wettergespräche, Bonuspunkte an der Rewe-Kasse, die Krimischwemme oder Erlebnisse in der Deutschen Bahn. Die parodistischen Dialoge dazwischen wirken zahmer, etwa wenn Wohlstandshipster ("Die Leute sind ok. Die Leute sind so wie wir") nach einer "Charity-Gala zum Krieg" ihrer Ignoranz und Selbstgefälligkeit freien Lauf lassen. Auch einen Tipp für nachhaltigen Konsum gibt es: nur Gegenstände kaufen, "bei denen man sich mit dem Wegwerfen schwertut", das sind "Ambosse", "Geigen", "Diademe" oder "Felsen". Na ja.
Von geradezu altlinker Verve ist hingegen eine ironische Eloge auf das bedingungslose Grundeinkommen: "Hallo ihr milden Millionäre! (. . .) Wir machen uns schon mal bereit! Wir legen uns auf unsere Futons! (. . .) Und wir versprechen euch: Wir machen dann was Kreatives oder was Ehrenamtliches! (. . .) Und ihr macht bitte weiter wie bisher!"
Zwischen all den Texten gibt es Kritzelzeichnungen, am ergreifendsten aber sind doch die vielen Traumtexte, in denen immer wieder mit den depressiven Urkräften gerungen wird. Mehr und mehr gelingt ihre Nutzbarmachung. Da ist etwa die sprachmächtige Reflexion "Wie wir gehen", unbewusst nämlich: "Ich hänge mich ein in das Gehen meiner Beine." Das verweist auf Tieferes: "Vielleicht ist es das Gehen an sich. Vielleicht ist es der Gang meiner Vorfahren." Aus dem Gehen könnte gar das Denken entstanden sein, das Vorwärtsstreben Schritt für Schritt. Gehen sei dem Autor immer vorgekommen, "als liefe ich ins Glück hinein": "immer einen Schritt schneller als der Stillstand, die Bedrücktheit, die Unausweichlichkeit, die Depression". Als er doch schließlich stehenblieb, erfolgte prompt die Versteinerung. Der Anblick der Steine um ihn herum führte jedoch zu einer Entdeckung: "ihr Glück war das Bleiben".
Das klingt nach spiritueller Weisheit: "Wenn du leben willst, erfinde dich neu, dachte ich. Vielleicht als der, der du schon bist." Und doch ist es für PeterLicht noch nicht die Lösung, dieses Annehmen des Stillstands. Für ihn läuft die Befreiung über den Klang, der sich zum Sound verdichtet. In der großen Schlussrede geht es um die Körperlichkeit der Musik, die ihn und alle, für die er spricht, von innen neu "ausgekleidet" habe: "Meine Rede an die Musik ist eine Rede an die Freiheit." Die Musik wisse mehr über das Dunkle und das Helle als jeder von uns, man könne sich ihr anheimgeben. Es ist gemeint als Ratschlag an alle: Werdet Teil dieses Körpers, lasst euch in die Musik hineinfallen. Und so ist das nur auf der untersten Ebene ein ironischer Jokus, wenn sich PeterLicht bei der Bundestagsvizepräsidentin initiativ als rundweg käuflicher "Parlamentssänger" bewirbt: Das Musikalische daran meint er durchaus ernst. Und klänge eine Jens-Spahn-Rede als PeterLicht-Song nicht tatsächlich verzeihlicher? Fast nach Hoffnung? OLIVER JUNGEN
PeterLicht:
"Wir werden alle ganz schön viel ausgehalten haben müssen".
Tropen Verlag, Stuttgart 2025. Mit Zeichnungen des
Autors. 256 S., geb.,
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